Gedichte und Texte 1982-1990
wenn aber dieser herbstliche sturm des schicksals
dieser ruchlose sturm
der rings die ernten tausendjährigen wachstums
bleicht und entwurzelt
auch nach dem kleinod unseres inneren griffe
daß wir uns selbst ablegen sollten
wie ein zu eitles geschmeide
und alles
ich und du
alles innigste eigen
wie flugsand wäre
verweht in die wüste der massen
wie wird sich dann aus unseren tiefen
erheben die mächtige einsamkeit
diese urgewaltige heimliche herrscherin
auch der glückseligsten stunde
wie furchtlos
wird sie über die schwelle ihrer verborgenheit schreiten
und wie gelassen
dem sturm ihre stirn bieten
wie liebriech
wird uns ihr gefürchtetes antlitz erscheinen
und o wie sanft
ihre strenge hand
wenn sie die unsrige löst
aus der verflochtenheit der dichten gedränge
und uns hinuntergeleitet
hinuntertröstet
tief tief
unter den gottlosen tag
ins unzugängliche ihres schweigsamen reichs
wo niemand unserer harrt
als die eigene seele
um 1200
GEDANKEN
5. September 1982
oft stelle ich mir vor
wie es wäre
wenn du bei mir wärst
in deiner gegenwart würde alles neu
um mich her
vielleicht würden unsere hände uns berühren
wir würden uns niemals mehr loslassen
vielleicht würden wir lange spazierengehen
auf alten wegen
vergessen von der zeit
manchmal ist es mir
als müßte ich mir flügel machen
damit der wind
mich dorthin trägt
wo meine wünsche und erfüllungen liegen
VERGESSEN
Sommer 1983
ich blicke in den spiegel der zeit
und sehe ein fremdes gesicht:
mein gestern ist vom heute so weit,
ein nebel versperrt mir die sicht.
es gibt soviel, was ich längst vergaß:
worte, gedanken und menschen,
und morgen werd ich wieder vergessen
was heut für mich so wichtig scheint.
und manchmal frag ich mich:was ist es eigentlich,das uns hält, hier zu leben
und dem morgen entgegenzusehn?
kannst du mir sagen,
hör bitte zu, ich will dich fragen:
kannst du mir sagen,
was wirklich zählt?
GEDANKEN DES FRIEDENS
11. September 1983
an einem sommertag, ich weiß es noch wie heute
ging ich alleine fort, spazierte durch den wald
ich seh mich gehen, denk dran wie ich mich freute
über all die schönheit um mich her
nach einer weile dann, da blieb ich stehen
an einem baum um ihn mir näher anzusehen
doch plötzlich hört ich, wie von dem baum im windeswehen
ganz sanft und leise eine stimme dort erklang
„ich habe über euch gedanken
des friedens und nicht des leids
denn meine liebe öffnet alle schranken
er stirbt für euch und macht euch frei.“
der sommer ist nun lange schon vergangen
die blätter fielen, die bäume wurden kahl
ich geh im schnee und denke an das alte jahr
und hör ihn reden, wie damals, sanft und klar.
„ich habe über euch gedanken
des friedens und nicht des leids
denn meine liebe öffnet alle schranken
er stirbt für euch und macht euch frei.“
und auch noch heute manchmal höre ich ihn reden
ich frag mich nur: hast du ihn auch schon mal gehört
gott sucht uns alle und verheißt uns seinen segen
sei doch mal still und hör dort hin, was er uns sagt.
GESTERN
15. Oktober 1983
wenn ich heut noch einmal
alles überdenke
ist diese zeit mit euch
doch unbegreiflich schnell vergangen
ich fühle heute mehr als gestern
wie die jahre in mein leben ziehn
und es ist
als flögen wir dahin
LAND IM NEBEL
Dezember 1983
dunkle steppe. gelber mond.
schwarzer fluß. weites land.
finsternis. schatten der zeit.
erinnerung. vergangenheit.
gestern zogen wir los in ein anderes land.
dorthin, wo nach langen jahren der arbeit,
wie man sagte, alles gut geworden war.
verlassen haben wir, was uns seit wir denken können
vertraut war.
heute, im licht der tage,
die dahinschmelzen wie das wachs einer kerze,
heute geht es allen gut.
keiner klagt über armut, hunger oder kälte.
nur manchmal, wenn es in unseren herzen wieder ein klein wenig kälter geworden ist,
dann denken wir zurück an die zeit,
als das land uns noch umgab
und pferde unseren acker bestellten.
damals, als die zeit erst laufen lernte.
vorhin habe ich einen blick getan und hineingeschaut in unser land.
viele jahre sind vergangen und manches hat sich verändert,
ich erkannte es fast nicht mehr.
die alten dörfer sterben, häuser verfallen
unter den versäumnissen ihrer bewohner,
straßen und wege versinken im schlamm.
wo bist du, land im nebel?
ich kann dich nicht mehr finden,
denn schatten und finsternis sind stark
und meine augen werden alt.
dunkle steppe. gelber mond.
schwarzer fluß. weites land.
finsternis. schatten der zeit.
erinnerung. vergangenheit.
land im nebel.
WIE CHRISTUS WERDEN
29. Juni 1984
die tür fiel ins schloß hinter ihm
niemand kannte seine sorgen
er lebte allein, weit fort von hier
und er ging nicht hinein in das licht des neuen morgens
man sah ihn nur selten,
hier und da mal ein freundliches wort
doch das, was ihn bewegte nahm er mit sich fort
an diesen unbekannten ort
er war nur ein mensch wie du und ich
getrieben von dem wunsch nach leben
doch gestern erhängte er sich
denn das, was er suchte, konnte ihm niemand geben
er wollte mehr als arbeit, mehr als lohn
einfach mehr als essen und trinken
mehr als freizeit, parties und kino
mehr als rausch und flirt
mehr als schmerzen und tod
und wir sagen heute, wir hätten doch gar nichts geahnt
wir könnten doch nicht gleichzeitig überall sein
doch christus, ja christus hätte ihm geholfen
wenn du und ich wie christus werden
können wir auch was tun
DEFIZIT
Sommer 1984
vielleicht reichen schon jetzt
alle worte auf diesem papier
nicht aus
um zu sagen
was ich wirklich sagen will
wenn ich deinen namen höre
vielleicht gehen schon jetzt
alle gedanken in meinem kopf
ganz unter
im meer meiner eigenen gedankenlosigkeit
statt sich zu formen
und das zu sein
was in mir sein will
wenn ich an dich denke
vielleicht sind schon jetzt
alle gefühle in meinem herzen
viel zu oberflächlich
um das zu sein
was ich wirklich fühlen will
wenn du in meinem herzen bist
vielleicht werde ich später einmal
wenn du viel geduld an mich
verloren hast
fähig sein
mich selbst so zu sehen
wie ich bin
ohne in der angst meiner eitelkeit
zu sterben
vielleicht werde ich später einmal
nach vielen schmerzlichen enttäuschungen
erkennen daß deine zuneigung
nicht abhängig ist
von meiner größe und schönheit
sondern von der schonungslosen
befreienden zärtlichen
gebenden umfassenden
unendlich liebenden
ehrlichkeit meiner selbst
vor dir
DANMARK
23. Juni 1986
in diesen tagen
lerne ich wieder
ausatmen
ich atme in die landschaft hinein
mein atem wird ihr immer ähnlicher
diese landschaft
ist anders
als jene meiner heimat
die fast endlose weite
erschreckt mich
es blendet das fehlen des horizontes
wenn meine augen nicht mehr
den himmel vom meer
unterscheiden können
vielleicht
war diese einheit
schon immer da
ich hatte sie bisher
nur nie bemerkt
ausatmen
erweitert horizonte
WER
November 1986
du kommst mir zu nah
du forderst zu viel
ich will mich nicht
mit dir einlassen
geh weg
komm her
ich denke an dein lachen
zuvieles hält mich ab
andere menschen
fesseln mich
ich weiß nicht
was ich für dich empfinde
ob mein gefühl für dich
stark genug ist
zu bestehen
dann die momente
in denen mein kopf
diese leere atmet
in die ich gern falle
egal wohin
nichts fragt
nichts geht los
nichts klopft an
ich falle
hinter meinen eigenen horizont
und alles fließt
DER „ICH BIN“
November 1986
DU
wenn ich zurückblicke
dann fällt mir auf
wie oft du dich
in mir verändert hast
DU
der ICH BIN
ist nicht vielmehr
in dir meine veränderung
liegt nicht darin
unser problem
hilf mir
dir zu begegnen
geh mir entgegen
bitte finde mich
sei für mich
der DU BIST
VATER
15. November 1986
was soll ich dir schreiben
der ich dich nicht verstehe
so vieles an dir kenne
und nichts mir bekannt ist
dein name ruft mich wach
in meine eigenen widersprüchlichkeiten
dann entdecke ich
wie unsicher ich bin
dir gegenüber
dem sicherheit über alles geht
wo war mein leben mit dir
oft haben wir gelacht
und dann war da
eine brücke über den fluß
manchmal sehe ich
hinter allen gegensätzen und konflikten
einen weg
der sehnsucht zum ziel hat
ich wünsche mir
dich dort zu sehen
und dich zu grüßen
wie einen alten freund
BLEIB
17. November 1986
laß dich nicht einschüchtern
durch meine kälte
flieh nicht
vor meiner unsicherheit
laß etwas von dir zurück
hilf mir durchhalten
und bleib bei mir
wenn du gehst
HAUS
November 1986
langsam
kehre ich zurück
in mein haus
reiße die bretter ab
vom eingang
mache die fensterläden auf
wische den staub
von den möbeln
der überall
fingerdick liegt
langsam
gehe ich durch die räume
versuche mich zurechtzufinden
setze mich in die ecke
langsam
formt sich tief in mir
eine ahnung
die dinge
werden neu
erhalten namen
langsam
gehe ich zur tür
und öffne sie
fange den tag ein
er hat dein gesicht
langsam
bricht die blüte auf
und wird zur frucht
STRASSENBAHN
17. November 1986
die scheiben spiegeln
gesichter
unaufhörlich tanzen
die schatten der stadt
wieder verschluckt die nacht
unseren tag
im neonlicht
reichen hände neuen abschied
KEIN ABSCHIED
27. Mai 1987
an diesem abend
geht mein blick
zu oft ins leere
es tut weh
wenn ich atme
wir haben den punkt erreicht
an dem vergangenheit
und zukunft
zusammenfließen
und nichts mehr
erklärbar ist
manchmal blüht ein frühling
nach unseren tränen
SCHMERZ
Sommer 1987
seit einigen tagen
beschleicht mich wieder
diese bittere unzufriedenheit
wenn ich den unterschied
zwischen meinen träumen
und der wirklichkeit erkenne
es liegt nicht allein daran
daß es niemanden gibt
der meine gedanken mit mir teilt
daß meine energie unverbraucht
irgendwo verpufft
vor allem fehlt mir
das gegenüber
das unmittelbare du
der anfang des wachstums
auf dem weg zum andern
mir fehlt die formende kraft
mich aus mir selbst zu lösen
augen zu öffnen für die welt
um mich her
ich bin nicht stark genug
dies zu ändern
hilflos fliehe ich in meine träume
für minuten liegt ein sanftes lächeln
auf meinem mund
ich merke
wie träume mich belügen
wie ich selbst diese lüge
tag für tag neu erfinde
hilf mir
ins leben zu schauen
befreie mich
durch den schmerz der liebe
WIEDERSEHN
November 1987
in jenem winter sah ich dich auf einem alten waldweg
eingehüllt in das unendliche weiß,
benetzt von tausend schneeflocken,
gingst du vor mir her.
dann rief ich deinen namen in den wind,
doch du hast mich nicht gehört.
auch die schneeflocken, die ich vor deine tür legte,
hast du nicht gesehn.
im nächsten frühling sah ich dich auf einer bunten wiese.
du warst ein teil jenes frühlings
und dein haar duftete nach der neuen erde.
soviel hoffnung, soviel liebe.
wieder habe ich nach dir gerufen,
dir leise zugeflüstert: komm zu mir.
ich blies den löwenzahn in meiner hand
weit in die luft, über das land.
der sommer zeigte dich mir am meer, am weiten strand.
doch warst du nicht allein.
der wind strich durch die dünen,
als die sonne über dem meer verschwand.
ich habe noch einmal nach dir gerufen,
den wellen hab ich deinen namen gesagt.
doch die brandung hat mein rufen mitgenommen,
du hast mich wieder nicht gehört.
die blätter dieses herbstes fallen sanfter.
ich gehe dir nach auf der allee, vielleicht bemerkst du mich.
diesmal schreibe ich meinen namen auf ein welkes blatt
und lege es mitten auf den weg.
heute hast du es gefunden.
und immer noch stehe ich mit dir auf der allee,
unter den bäumen, rings um uns, ein blättermeer.
werden wir die blätter dieses herbstes
in späteren tagen zwischen den seiten
unserer erinnerungen finden?
ich bin so weit gereist
und bin doch nur wieder
nach haus gekommen.
KEINE WUNDEN
29. November 1987
weißt du noch, was ich dir sagte
weißt du noch, wie schön es klang
„der raum, die zeit, alles, was trennt,
das ist für uns nicht von belang“
doch der augenblick ist da
ich will es eigentlich nicht glauben
wo alles, was zwischen uns begann
ungleich schwerer werden wird
da ist seit gestern diese angst
ob ich dies alles wirklich kann
allein zu sein bis zu dem tag
an dem wir ohne schuldgefühl
einander gegenüberstehn
es ist so schwer den weg zu finden
der keine wunden hinterläßt
der uns die zeit gibt die wir brauchen
um das zu tun, was richtig ist
es ist nicht ehrlich, so zu tun
als ob dies kein hindernis sei
als sei die zeit mit einem andern
plötzlich vergessen und vorbei
denn damit leugnen wir am ende
doch nur unsere vergangenheit
wir töten einen teil von uns
sind für die zukunft nicht bereit
und wenn ich sage daß ich dich liebe
dann weiß ich schmerz gehört dazu
so will ich warten, will verstehn,
und, wenn es möglich ist, mit dir
in freiheit neue wege gehn
KURZBESUCH
17. Dezember 1987
eigentlich
wollten meine hände
alle liebe
in die luft schreiben
die in mir ist
mit meinem lächeln
wollte ich uns
ein luftschloß bauen
ein tor durch die zeit
ich wollte dir
einfach in die augen schauen
und du hättest gewußt
was ich mit worten
niemals sagen kann
du hättest gewußt
daß hinter meiner maske
aus angst und nervosität
ein zerbrechliches herz
sich danach sehnt
alle zärtlichkeit
auf einmal zu verschenken
einmal mehr
hab ich gesehn
was traum
was wirklichkeit ist
es reicht eben nicht ganz
zum märchenprinzen
trotzdem
werde ich diesen traum
niemals aufgeben
denn ich bin ein träumer
und nur so
kann ich leben
willst du meinen traum
mit mir teilen
STERN
Januar 1988
als die nacht
mit ihren unzähligen sternen
ihre heimlichen lieder sang
als der duft des nachtwindes
schon den ersten frühlingshauch
über die erde zu flüstern schien
als wir am himmel
die promenade der sterne sahen
in jener letzten weihenacht
da verließ ich dich
in dieser nacht
war ein traum voll zärtlichkeit geboren
erfüllt von der wärme deiner haut
dem duft deines haares
und der berührung deiner hand
seit dieser nacht
lebt eine freude in mir
eine hoffnung
ein glaube
eine liebe
und die liebe ist größer als alle furcht
so wundere dich nicht
wenn du manchmal trotz der kälte
nicht frierst
denn ich stehe hinter dir
und wärme dich mit meinem atem
so wundere dich nicht
wenn du plötzlich mitten im winter
den hauch des frühlings spürst
denn ich gehe neben dir
und hülle dich in den mantel der sehnsucht
so wundere dich nicht
wenn auf einmal jemand deine hand ergreift
und sie nicht mehr losläßt
denn ich stehe vor dir
und liebe dich
TROTZDEM
Frühjahr 1988
es tut mir leid
wenn ich dich erschreckt habe
durch meine offenheit
vielleicht ist mir die tragweite
meiner worte selbst nicht bewußt
denn ich weiß nicht sicher
ob ich all dies werde tragen können
ich will nicht mehr fliehen
keine ausflüchte mehr zulassen
jetzt ist es zu spät
für gedankengebäude
ich stehe vor mir
betäubt von den gedanken an dich
ein gefangener der sehnsucht
jetzt spüre ich deutlicher
was vormals nur matte ahnung war:
es gibt für uns keinen abschied
kein dafür oder dagegen
kein gedanke ohne dich
spürst du den anspruch
hinter meinen worten?
ahnst du das risiko
einer solchen beziehung?
kommst du trotzdem mit?
FRÜHLING
Frühjahr 1988
verzeih
wenn meine ungeduld
unsere trennung
noch erschwert
ich dachte immer
ich sei vernünftig genug
den hörer leise auf die gabel
zurückzulegen
die zimmertür sanft zu schließen
und den schrei in mir
einfach zu überhören
eben jedoch hat mein kopf
dies bild wieder gemalt
dort falle ich hinein
greife nach der hand
sterbe gern
im augenblick der umarmung
wärme küßt
strahlen aus licht
leben unterm regenbogen
dann wieder
fallwinde
autobusse
ausgeträumt
es ist gewiß
nicht einfach
ohne dich
TÜBINGEN
Sommer 1989
es gibt momente
in denen ich den glauben
an den sinn meines tuns hier
plötzlich verliere
wie beim aufwachen
aus unruhigem schlaf
rebelliert dann
mein magen
dieses kalte gefühl
nicht genug zu leisten
gärt in mir
und lähmt alle gedanken
dann forsche ich nicht mehr
in den welten der vergangenheit
grabe mein hirn
aus den schalen des wissens
vielleicht wird irgendwann
ein wunsch in mir
so groß
daß ich nicht mehr zurückkehre
KATHINKA
18. September 1989
das blau des todes
hält ein schwarzes knie
mir zugewandt
was trägst du schwarz
traum
denke an den dichter
während sein körper
sich ins blech verkeilt
schützende worte
verbinden nicht mehr
zur scheinrede
ich höre wie der atem
im satz lebt
während dein kind
am straßenrand wartet
auf den sommer des vaters
VATER II
18. September 1989
endlich
sehnsucht
und verstehen
die fehler
der dekade
laden ein
ich werde gehen
damit der winter endet
SELTSAM
Januar 1990
es tut
nicht weh
innerlich
zu sterben
viel schmerzhafter
ist es
dabei
aufzuwachen
HEIDELBERG
12. November 1990
zeitenwende
wieder angekommen
der wanderer mit dem koffer
voller sehnsucht in der hand
wieder verloren
was längst nicht mehr
ihm gehörte
was ihm blieb
ist nur die sehnsucht
nach nähe
jetzt ein wunsch
bleib bei ihm
wenn du gehst
DAS URTEIL DER LIEBE
17. November 1990
Jeder Mensch erwartet sein Urteil.
Das Urteil der Liebe kommt nicht aus dem Vorhandenen,
sondern aus dem Unbegründeten.
liebe ist vita passiva
leben im beschenktwerden
das eigentümliche an der liebe ist
daß der liebende nichts tun muß
um geliebt zu werden
daß er geliebt wird
liegt nicht an ihm selbst
ebensowenig kann der liebende sagen
was genau er an oder im anderen liebt
könnte es es
ginge er der liebe verloren
liebe ist kein gefühl
liebe ist die erfahrung
der geschenkten gnade des augenblicks
nur in der liebe
werden macht und ohnmacht eines menschen
zu geschwistern
nur die liebe
kann die spannung der menschlichen gegensätze
aushalten
geliebtwerden
ist immer unbegründet
niemand kann es festmachen
niemand kann es festhalten
ATMENDE HOFFNUNG
17. November 1990
vieles zarte muß seinen weg finden
aus den wunden der vergangenheit
den weg sieht es nicht
doch wärmende haut
küsse des lichts getragen
finden den weg
es ist eine atmende hoffnung
das tor zu finden
mag weit sein
laßt es gehen
es ist eine atmende hoffnung
SCHAU
21. November 1990
die blume der liebe
blüht vom fenster
neigt sich
faßt alles zart
weicher wind
garten im abend
duft der rosenmenschen
spätherbst
deine blume
blüht mir zu
in den morgen der zeit