Es weihnachtet sehr

Koch meint…

Montag, 12. September 2011: In Baden-Württemberg fängt nach den Sommerferien die Schule wieder an, und bis Weihnachten sind’s grad mal noch 103 Tage. Gut darum, dass in den Supermärkten endlich die ersten Lebkuchen in den Regalen liegen! Ob das auch meine Kirche begrüßt? Von Kritik jedenfalls keine Spur. Im Gegenteil: Zumindest internetmäßig ist die EKD-Aktion „Advent ist im Dezember“ noch auf dem Stand von 2010. Erfahrungsgemäß ist mit einer Aktualisierung nicht vor November zu rechnen. Wobei ein paar Wochen vor dem 1. Advent dann nicht einmal unsereins mehr Skrupel hat, in eine Pfeffernuss zu beißen. Ja, in der Tat: „Alles hat seine Zeit.“ Das gilt aber nicht nur für Advent und Weihnachten selbst, sondern auch für den Protest gegen deren immer unerträglicher werdende Vorwegnahme. Und diese Zeit ist jetzt.

Samstag, 10. September 2011: Da, wo ich wohne, war lange Einkaufsnacht – Shoppen bis 24 Uhr. Falls er denn wirklich fürs Wetter verantwortlich ist, hat’s Petrus mit „ES funkelt“ gut gemeint, und entsprechend ist die Stadt proppenvoll gewesen. Trotzdem geht mir nicht aus dem Sinn, was eine Geschäftsinhaberin schon morgens um acht auf dem Wochenmarkt zu mir gesagt hat: „Und wer steht heute Abend bis Mitternacht hinter dem Ladentisch oder sitzt an der Kasse? Hauptsächlich wir Frauen und Mütter, die der Politik angeblich so wichtig sind. Aber nur in Sonntagsreden. Sonst hört man nichts von denen, und auch die Kirche schweigt.“

Was so natürlich nicht ganz richtig ist. Aber in ihrer Fixierung auf verkaufsoffene Sonntage haben die Kirchenverantwortlichen das viel größere Problem außer acht gelassen: die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, die eindeutig zu Lasten von Frauen, Müttern und Familien geht und mit ihren an Werktagen teilweise bis 24 Uhr geöffneten Supermärkten so unnötig ist wie ein Kropf.

„Der Kunde stimmt mit den Füßen ab“, höre ich den Einzelhandel an dieser Stelle sagen. Nur: Nicht alles, was populär ist, ist gleichzeitig auch gut. Und immer sollte man die Folgen mit bedenken. Ganz abgesehen davon, dass das, was der Kunde angeblich will, ihm vorher via Werbung eingetrichtert worden ist, dass er oder sie es zu wollen hat – siehe Weihnachten schon jetzt oder Einkaufen zu fast jeder Zeit.

Ich komme zum Schluss und hoffe auf zweierlei, was ich aber nicht verfrüht auf einen Weihnachtswunschzettel schreiben möchte: zum einen, dass der kirchliche Protest gegen „Advent ist im September“ endlich einmal zur richtigen Zeit kommt. Und zum andern, dass meine Kirche ihre Verantwortung für diejenigen Menschen, die von ökonomischen Entscheidungen negativ betroffen sind, noch kraftvoller wahrnimmt als bisher. Was aber in Sachen Einzelhandel nur geht, wenn man nicht bloß auf den Sonntag, sondern auf die ganze Woche blickt. Denn gerade und vor allem von Montag bis Samstag liegt da vieles im Argen. Und auch in den Regalen. „Es weihnachtet sehr“ am Ende der Sommerferien ist jedenfalls völlig daneben.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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