Trauerpredigt für Landesbischof i. R. Ulrich Fischer in der Stadtkirche, Karlsruhe

Es gilt das gesprochene Wort

„Ach Herr, laß dein lieb Engelein am letzten End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen…“ – so haben wir es gerade gehört.

Liebe Trauergemeinde,

es gibt vielleicht keinen Choral, der so berührend zum Ausdruck bringt, was wir erhoffen, vielleicht zaghaft erhoffen, vielleicht auch glaubensstark erwarten, vielleicht von Herzen ersehnen, wenn unser Leben zu Ende geht, wie diese in wunderbare Musik gefassten Töne aus Johann Sebastian Bachs Johannespassion. Und so sind sie uns ein Trost an diesem Tag heute, an dem unser Herz schwer ist. An dem wir nach der Beerdigung am 27. Oktober in Neulussheim nun auch als Kirche Abschied nehmen von Ulrich Fischer, dem Freund, Kollegen, Mitbruder in Christus und dem Landesbischof, der vielen Seelsorger, Wegweiser und öffentliche Stimme war.

Ulrich Fischer hat diesen Choral geliebt. Der Choral hat dem tiefen Vertrauen Ausdruck gegeben, mit dem Ulrich Fischer auf den Tod zugegangen ist. Wenige Tage vor seinem Tod hat er im Kreise seiner Familie mit seiner Gemeindepfarrerin und dem Freund Traugott Schächtele das Abendmahl gefeiert. Dabei erklang auch diese Musik Johann Sebastian Bachs.

Wie sehr die Musik, die ihm zeitlebens so wichtig war, auch und gerade in den letzten Wochen seines Lebens die Tür zum Himmel schon geöffnet hat, ist auch zum Ausdruck gekommen, als er eine Woche vor seinem Tod, schon im Rollstuhl, Besuch von den Landesposaunenwarten bekam und sie ihm alle möglichen Choräle spielten. Und er jeden Choral bei Namen nennen konnte.

Bachs Musik und die Bilderwelt der Engel gehen in dem Choral aus der Johannespassion eine kraftvolle und so tröstliche Verbindung ein, die den Raum öffnet für das Wort über die Engel in Psalm 91: Es bringt in wunderbarer Weise dieses Vertrauen zum Ausdruck, das wir empfinden, wenn wir uns die Engel vorstellen: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (Ps 91,11).

Man muss sich nicht erst die berühmten Szenen über die Engel in „Der Himmel über Berlin“ vorstellen, um zu wissen, dass die Engel manchmal sehr konkret in Fleisch und Blut sichtbar werden. Ulrich Fischer war, das habe ich von anderen erzählt bekommen und er hat es auch mir selbst gegenüber zum Ausdruck gebracht, von vielen Engeln umgeben.

Von denen, die ihm mit ihrer Musik das Herz geöffnet und ihn gestärkt haben, habe ich schon gesprochen. Ich werde nie vergessen, wie wir vor gut einem Jahr in Dresden bei der EKD-Synode zusammen waren und er dort bei einem Konzert der Landesposaunenwarte sein Amt als Vorsitzender des Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland (EPiD) an Landesbischof i. R. Gerhard Ulrich übergab. Es war ein unglaublich berührendes und musikalisch einfach vollkommenes Konzert. Er hat das auch so empfunden und zum Ausdruck gebracht. Da habe ich ihn noch einmal in seiner ganzen Begeisterung und Freude erlebt.

Auch die Ärzte und Krankenpflegenden waren ihm Engel. Sie haben mit ihrer medizinischen Kompetenz und mit ihrem Sorge-Einsatz dazu beigetragen, dass ihm nach der ersten Diagnose noch unerwartet viel Lebenszeit geschenkt wurde und dass er bis zum Schluss keine Schmerzen hatte.

Aber die wichtigsten Engel haben ihn in Gestalt seiner Familie begleitet. Vor der überraschenden MRT-Diagnose im August hat er noch einen wunderschönen Camping-Urlaub in Burgund mit seiner Frau Brigitte verbracht. Und dann haben ihn in der Zeit der weiteren Therapieversuche und dann in der letzten Zeit im September und Oktober seine Frau, die drei Töchter und ihre Familien und die 7 Enkelkinder liebevoll begleitet. Dass sie alle für ihn wie Engel waren, habe ich schon früher, nach der ersten Tumordiagnose, immer gespürt, wenn ich ihn gesehen und nach seinem Ergehen gefragt habe und er dann – wohl wissend um die Fragilität seiner Gesundheit – mit so viel Dankbarkeit von seiner Familie, mit so viel Freude von seinen Enkelkindern und von seinem Leben auf dem Reiterhof der ältesten Tochter berichtet hat.

Das, liebe Brigitte Fischer, liebe Familie Fischer, wird immer bleiben. Es steht aufgeschrieben im himmlischen Lebensbuch Gottes und es ist aufbewahrt in Eurer Erinnerung und in der Erinnerung aller, die ihn liebhatten.

„Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“

Ich habe das Gefühl gehabt, dass genau das an ihm wahrgeworden ist. Gott hat ihn auch in der schweren Zeit seiner Krankheit mit seinen Engeln behütet und ihm ein Vertrauen, eine Zuversicht, und selbst im Angesichte des möglichen Endes noch eine Dankbarkeit und Freude an der ihm geschenkten Zeit geschenkt, die mich sehr beeindruckt hat. Er war darin ein ausstrahlungsstarker Zeuge Jesu Christi und des berühmten paulinischen Wortes aus Röm 8: Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

In seinem Zeugnis von Jesus Christus hat mich Ulrich Fischer in den vielen Zusammenhängen, in denen ich ihm in der EKD begegnet bin, immer wieder beeindruckt. Ich habe mich gefreut, nach meiner Wahl in den Rat der EKD dort mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Und ich habe schnell gemerkt, welch wichtige Rolle er dort gespielt hat. Die theologische Leidenschaft und die authentische positive Energie, die ich schon von früheren Begegnungen in Erinnerung hatte, habe ich sofort wieder gespürt. Und die war auch der Grund dafür, dass sein Wirken für die EKD so viel Segen gebracht hat. Aus den vielen Beispielen, die hier zu nennen wären, hebe ich zwei hervor.

Das Zusammenwachsen der beiden großen Kirchenbünde in der EKD, der Union Evangelischer Kirchen (UEK) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELK), das in dem sogenannten „Verbindungsmodell“ zum Ausdruck kam und mit vielen Hindernissen verbunden war, wäre am Ende nicht so erfolgreich gewesen, wie wir es jetzt erleben, wenn es Ulrich Fischer nicht gegeben hätte. Zusammen mit dem Leitenden Bischof der VELKD hat Ulrich Fischer in unzähligen Kommunikationen für dieses Zusammenwachsen geworben und den Weg dafür geebnet, dass Reformierte, Unierte und Lutheraner sich als wechselseitig bereichernde Traditionen unserer evangelischen Kirche verstehen.

Als „Medienbischof“ hat Ulrich Fischer das Gemeinschaftswerk Evangelischer Publizistik über viele Jahre geprägt. Und das ist kein Zufall. Denn ihm ist es immer darum gegangen, das Evangelium öffentlich zu machen, seine Relevanz über den Bereich des Privaten in die Öffentlichkeit deutlich zu machen und auch die Orientierungskraft des Evangeliums in den öffentlichen Debatten zur Geltung zu bringen.

Im Rat der EKD hat er sich immer ebenso mit Leidenschaft wie mit Besonnenheit eingebracht. Er hat dank seiner stabilen Gesundheit nie im Rat gefehlt. Und hat wesentlich zu der gemeinschaftlichen Atmosphäre in diesem Leitungsgremium der EKD und auch in der Gemeinschaft der Leitenden Geistlichen beigetragen. Es schmerzt, dass wir jetzt auf seine Lebensfreude, auf sein Engagement, auf seine Begeisterung für das Evangelium verzichten müssen. Aber wir danken auch, dass Gott uns diesen Menschen geschenkt hat und dass er so viel Segen auf sein Leben gelegt hat.

Er durfte am 21. Oktober sterben mitten in der Gemeinschaft seiner Familie. Alle, auch die Enkelkinder, haben ihn dabei begleitet.

Was der Choral beschreibt, geht jetzt in Erfüllung: „Ach Herr, laß dein lieb Engelein am letzten End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen, den Leib in sein’m Schlafkämmerlein gar sanft, ohn einge Qual und Pein, ruhn bis am jüngsten Tage. Alsdenn vom Tod erwecke mich, daß meine Augen sehen dich in aller Freud, o Gottes Sohn, mein Heiland und Gnadenthron“.

Wie darf man sich das vorstellen, dieses Ruhen im Schlafkämmerlein bis zum jüngsten Tage? Ist er da jetzt schon? Oder erst viel später?

Martin Luther hat die Antwort darauf einmal mit einem Bild verstehbar gemacht, das auch in der heutigen Erfahrungswelt nachvollziehbar ist. Wer in der Nacht plötzlich aufwacht, weiß nicht, ob er Sekunden oder Stunden geschlafen hat. Für einen Moment verschwimmt die Kategorie der Zeit. So – sagt Luther – ist es auch mit dem Leben nach dem Tod. Wenn die Toten am Jüngsten Tag von Christus auferweckt werden, dann wissen sie nicht, wie lange sie geschlafen haben: „Sobald die Augen sich schließen, wirst du auferweckt werden. Tausend Jahre werden sein gleich als du ein halbes Stündlein geschlafen hast. Gleich wie wir nachts den Stundenschlaf hören und nicht wissen, wie lange wir geschlafen haben, so sind noch vielmehr im Tod tausend Jahre schnell weg. Ehe sich einer umsieht, ist er schon ein schöner Engel.“

Es ist ein Stück Ausdruck unserer Beziehung zu einem lieben Menschen, wenn wir uns vorstellen, wie es ihm im Himmel ergeht. Ich weiß nicht, ob der von Karl Barth angezettelte Streit im Himmel weitergeht, ob denn nun Mozart oder Bach dort den musikalischen Ton angibt. Ich könnte mir vorstellen, dass dort mit Ulrich Fischer die Bach-Fraktion Verstärkung bekommt. Aber das weiß ich nicht.

Aber eines weiß ich. Das herzliche Lachen von Ulrich Fischer, das wird zu hören sein. Und Gott wird sich in seiner ganzen Ewigkeit von Herzen daran freuen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN

Quelle: Evangelische Kirche in Deutschland: Nachrichten ( https://www.ekd.de/rss/editorials.xml?)
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