Verschwörungserzählungen vermuten hinter jedem Problem böse Absichten und geheime Pläne. Pixabay / Tumisu
Was tun, wenn in einer Unterhaltung oder in einem Seelsorgegespräch auf einmal von einer Verschwörung erzählt wird? Wenn Corona geleugnet oder antisemitische Narrative geteilt werden? Wenn hinter allem ein großer, hinterhältiger Plan gesehen wird? Und woher kommen diese Erzählungen überhaupt? Welche Bedürfnisse befriedigen sie? Auf diese und viele andere Fragen suchten die Teilnehmer eine Antwort.
Das Bedürfnis, die Welt zu verstehen
In ihrem Eröffnungsvortrag betrachtete die Sozialpsychologin Pia Lamberty Verschwörungserzählungen als soziales Phänomen, das schon vor den Corona-Protesten stark verbreitet gewesen sei. Laut Lamberty fördern drei Motive den Verschwörungsglauben: So seien Menschen bei Verlust ihrer Arbeit oder bei schwerer Erkrankung existentiell bedroht und stünden vor der Herausforderung, den Verlust der Kontrolle über ihr Leben zu bearbeiten. Auch soziale Motive könnten dem Glauben an Verschwörungserzählungen den Weg bereiten, etwa wenn man das Bedürfnis nach Einzigartigkeit dadurch gestillt werde, dass man die eigene Meinung absolut setze. Und schließlich befriedigten Verschwörungserzählungen das Bedürfnis, die Welt verstehen zu wollen.
Lamberty zeigte die Folgen eines solchen Glaubens für Gesundheit, Gesellschaft und Gewaltbereitschaft auf und schloss mit Überlegungen zum konkreten Umgang mit Verschwörungserzählungen. So sei es etwa angebracht, gerade die zu stärken, die solchen Erzählungen nicht glauben, aber deswegen angefeindet werden.
Im zweiten Block der Veranstaltung ging es um den Zusammenhang von Theologie und Verschwörungsglauben: Gibt es strukturelle oder funktionale Ähnlichkeiten oder Überschneidungen? Und worin unterscheiden sich die beiden Glaubensformen? Wie müssten Seelsorge-Gespräche geführt werden, um dem Zweifel, dem Ärger und der Angst der Menschen Raum zu geben, aber zugleich auch Grenzen und Gefahren von verschwörungserzählerischem Inhalt deutlich und mit Haltung aufzuzeigen? Was haben Kirche und Theologie zu sagen, wenn Verschwörungserzählungen nicht nur eine krude Weltsicht verbreiten sondern mit Antisemitismus oder Gewaltphantasien einhergehen?
Bei einer digitalen Umfrage während des Studientages gaben zahlreiche Teilnehmer an, sich weiter mit der Frage beschäftigen zu wollen, wie Verschwörungserzählungen hilfreich in der Seelsorge zu bearbeiten seien.
Mit der eigenen Bedrohtheit auseinandersetzen
Susanne Bakaus, Leiterin der Landesstelle der Psychologischen Beratungsstellen, führte in verschiedene psychologische Theorien und Methoden zur Erklärung der Entstehung von Verschwörungserzählungen ein. Dazu sei es hilfreich, dass man sich mit der Bedrohung des eigenen Lebens durch die Pandemie auseinandersetze. Wenn wir Menschen besser verstünden, könnten wir ruhiger und friedlicher auf sie zugehen. Erst diese Grundhaltung ermögliche es, mit psychologischen Kommunikationsmodellen auf Verschwörungserzähler erfolgreich zuzugehen. Und selbst wenn die Intervention einmal nicht erfolgreich sei, habe man so eine Möglichkeit gefunden, Haltung zu zeigen.
Praktische Einübung
Die Teilnehmer übten im Anschluss den freundlich-interessierten, aber dennoch kritischen Umgang mit Verschwörungstheorien und wendeten hierzu eine systemische Interventionstechnik an. Auch die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg erwies sich als ein hilfreiches Werkzeug für den Methodenkoffer im Umgang mit Verschwörungsgläubigen.
Seinen Abschluss fand der Studientag in einem Gespräch mit einer Betroffenen, die über ein Jahrzehnt Teil einer Gemeinschaft war, deren Lehre bis heute hauptsächlich auf Verschwörungserzählungen aufbaut und diese mit aggressivem missionarischem Eifer in die Welt bringt.
Die hohe Resonanz zeigt: Das Thema Verschwörungserzählungen und der Umgang mit diesen ist hochaktuell. Begegnungen mit Verschwörungsgläubigen fordern viele Menschen heraus. Als hilfreich im Umgang zeigen sich dabei vor allem wertschätzende und interessierte Beziehungen, die den Menschen in den Blick nehmen, aber in der Sache auch Grenzen aufzeigen. Seelsorge und kirchliche Arbeit können dabei einen wertvollen Beitrag leisten.