Gedenkstunde: Landesbischof July erinnert an die aus Stuttgart deportierten Juden
Stuttgart. Vor 79 Jahren ist es über sie hereingebrochen: Von jetzt auf gleich wurden mehr als 400 Jüdinnen und Juden aus ihrem Alltag gerissen und von Stuttgart aus in den Tod geschickt. Bei einer Gedenkstunde im Hospitalhof erinnerte Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July an die Menschen, „die am 26. April 1942 vom Killesberg über den Nordbahnhof nach Izbica deportiert worden sind – entrechtet, gedemütigt, gewaltsam verschleppt und schließlich ermordet“.
Die Opfer wurden in das Transitghetto unweit des polnischen Ortes Lublin gebracht und später in verschiedenen Vernichtungslagern getötet. July thematisierte unter anderem die Schuldfrage – anhand zweier Vornamen: „Auch aus Familien, in denen ein Christian und ein Gottlob getauft wurde, kamen die Täter. Es ist auch unsere Kirchen-Geschichte.“ Die beiden Vornamen würden „nahezu herausschreien“, welche Schuld Christen und Kirche damals auf sich geladen hätten.
„Bei Unrecht die Stimme erheben“
Mit den Worten des Apostels Paulus machte der Landesbischof deutlich, „dass Israel bleibend die Wurzel ist, von der auch wir leben“. (Römer 11,18). „Es ist bitter, dass es bis heute Antisemitismus in unserem Land gibt; ein Tag der Erinnerung wie heute erweist die Schamlosigkeit derer, die von ihrem Hass nicht ablassen.“ Daran müssten Christen wieder erinnern und bei neuem Unrecht die Stimme erheben. „Gedenken – Unterbrechen – Hören. Das wollen und sollen wir heute.“
Die Gedenkstunde war Teil der Themenreihe „Jüdisches Leben in Deutschland. 1.700 Jahre Begegnung und Vergegnung“, einer Kooperation des Evangelischen Bildungszentrums im Stuttgarter Hospitalhof mit verschiedenen Gemeinschaften und Vereinen. Aufgrund der Corona-Pandemie und der hohen Inzidenzzahl in Stuttgart wurde die Gedenkstunde per Livestream übertragen.
Auch der Brüche gedenken
Prof. Barbara Traub von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) äußerte anlässlich der Veranstaltung: „Wir begehen in diesem Jahr 1.700 Jahre jüdische Geschichte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland.“ Dazu gehöre für sie, nicht nur der freudvollen Momente und Entwicklungen, sondern auch der Brüche zu gedenken. „Der schwerste Bruch wurde durch die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung vollzogen. Wir gedenken der Opfer, um sie in unserer Erinnerung lebendig zu halten, wie es die jüdische Tradition gebietet.“
Der Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Prof. Dr. Roland Müller, schilderte das Leid der Opfer: Ihrem Zuhause entrissen, hätten sie nur Reisegepäck, Wolldecken und Kissen mitnehmen dürfen, ihr übriger Besitz wurde enteignet. In Izbica lebten zum Teil zehn Familien auf engem Raum, die Brotration für Nichtarbeitende betrug 50 Gramm am Tag. „Ständig vom Tod bedroht vegetierten die Menschen buchstäblich dahin“, so Müller. In den Vernichtungslagern angekommen, hätten sie dann meist nur noch wenige Stunden überlebt. Der Archivar geht davon, dass alle mehr als 400 Verschleppten der zweiten großen Stuttgarter Deportation ermordet wurden.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit Zeichen der Erinnerung e.V., der Ev. Akademie Bad Boll, der Landeszentrale für Politische Bildung BW, der Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg und dem Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof statt.
Weitere Informationen
Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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