Studie sucht Gemeinden mit guter Familienarbeit
„Zwischen Kindern, Kirche und Karriere: Kirche und Familien heute“ – so lautet der Titel einer Studie, die zur Zeit von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg im Auftrag der Landeskirche erstellt wird. Die Studie will herausfinden, wie Familien heute die Kirche sehen, welche Bedürfnisse sie haben und was Gemeinden tun können, um Familien besser zu erreichen. Dazu sucht das Forscherteam der Hochschule Gemeinden, die sich an der Untersuchung beteiligen wollen. Wir haben mit der Leiterin der Studie, Prof. Dr. Johanna Possinger gesprochen. Sie erklärt, wie die Studie abläuft, welche Trends jetzt schon zu erkennen sind – und wie Gemeinden mitmachen können.
Wie ist die Idee zu dieser Studie entstanden?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Die Landeskirche ist im Rahmen ihres Projekts „Familien stärken“ mit der Idee zu dieser Studie auf uns an der Evangelischen Hochschule zugekommen. MIt diesem Projekt stärkt sie fünf Jahre lang Angebote, die Familien, Ehe und Partnerschaft fördern. Hintergrund ist die kirchliche Beobachtung, dass in vielen Gemeinden zwar viel für Kinder gemacht wird – und dann wieder für ältere Menschen -, aber die mittlere Ebene, die Ebene der Eltern, eher weniger im Blick ist.
Für mich als Geschlechter- und Familienforscherin war dieses Thema gleich hochinteressant, denn ich habe die letzten Jahre selbst viel zu Elternschaft geforscht. Familie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert – und wenn Kirche bei Familien noch Anklang finden möchte, muss sie diese Veränderungen berücksichtigen.
Haben Sie vorab konkrete Hypothesen gebildet?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Nein, denn unsere Studie arbeitet ja rein qualitativ, also mit Hilfe von Einzel- und Kleingruppen-Interviews. In der ersten Phase haben wir Interviews mit 40 Paaren mit Kindern sowie Alleinerziehenden geführt. In der zweiten Phase wollen wir mit Gemeinden sprechen. Bei dieser Forschungsform lassen sich kaum vorab Hypothesen bilden, die dann quantitativ bestätigt oder widerlegt werden könnten.
Mit was für Familien haben Sie sich in der ersten Phase unterhalten?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Wir haben eine große Bandbreite an Familien befragt, wirklich quer durch die Gesellschaft: Ehepaare, Patchwork- und Regenbogen-Familien, Alleinerziehende, vom Land, aus der Großstadt, aus allen Regionen der Landeskirche, aus prekären Verhältnissen, aus echter Armut, aber auch Mittelschichtfamilien und wohlhabende Familien, mit gesunden, kranken und besonderen Kindern. Auch bei der Kirchennähe konnten wir fast das ganze Spektrum abdecken – von Hochverbundenen und kirchlich Engagierten bis hin zu Familien, die ganz oder zum Teil der Kirche sehr fern stehen. Bei etwa 50 Prozent der Befragten sind alle Familienmitglieder auch Mitglied in der Landeskirche.
Wie kann man sich so eine Befragung vorstellen – und hat sich die Corona-Pandemie ausgewirkt?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Wir haben einen Katalog von Standardfragen verwendet, die aber sehr weit und offen gestellt sind, zum Beispiel: Wie ist die Familiensituation? Der Tagesablauf? Was sind aktuelle Herausforderungen? Glauben Sie, dass die Kirche das sieht? Was brauchen und erwarten Sie von Kirche? Die Befragten konnten auch Schwerpunkte setzen.
Erstaunlich positiv hat sich die Corona-konforme Befragungsform ausgewirkt. Normalerweise gehen wir bei solchen Terminen zu den Leuten nach Hause – und das setzt die Befragten unter Stress, sie müssen vorher aufräumen, die Kinderbetreuung regeln etc. Durch das Format der Video-Konferenz entfiel das, und die Befragten waren viel entspannter. Das tut auch den Ergebnissen gut.
Können Sie zu den Ergebnissen schon etwas verraten?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Noch nicht im Detail. Aber allein die Tatsache, dass diese Studie durchgeführt wird, hat schon Begeisterung ausgelöst. Es wurde sehr positiv aufgenommen, dass sich die Kirche für die Familien als Familien interessiert. Die Ergebnisse werden für die Kirche auf jeden Fall hochspannend sein, denn hier kann sie eine wichtige Zielgruppe neu entdecken, die geradezu darauf wartet, angesprochen zu werden.
Die Institution Kirche an sich wird von nahezu allen geschätzt. Sie gilt als moralische Instanz, aber es gibt auch klare Erwartungen, wie intensiv sich Kirche gesellschaftlich und politisch engagieren und positionieren soll und welche Modernisierung man von ihr auf allen Ebenen erwartet.
Die Einschätzung der Gemeinden vor Ort schwankt naturgemäß stärker. Kinder- und Jugendarbeit wird durchweg positiv bewertet, aber die Eltern an sich fühlen sich oft nicht gesehen und nicht angesprochen.
Können Sie über die Bedürfnisse der Familien schon etwas sagen?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Die wichtigen Themen gleichen sich über alle Milieus und Familienstrukturen hinweg auffallend. Der Alltag ist stark durchgetaktet, die Mütter tragen überproportional viel Verantwortung in der Care-Arbeit. Der Wunsch nach optimaler Bildung und die Angst davor, dass die Kinder schulisch zurückfallen, sind quer durch alle Schichten sehr stark. Sorgen rund um den Wohnraum spielen eine wichtige Rolle. Für bezahlbaren Wohnraum nehmen viele Familien enorme tägliche Fahrwege auch mit den Kindern in Kauf. Die Partnerschaft kommt oft zu kurz, und hier wird oft auch geklagt, die Kirche habe Eltern nicht als Paare im Blick. Auch Väter fühlen sich von kirchlichen Angeboten oft nicht gesehen. Besonders belastet sind Alleinerziehende, Paare, in denen beide Eltern stark beruflich eingespannt sind, Mütter in Mehrkindfamilien und Eltern, deren Kinder besondere Bedürfnisse haben. Die Corona-Pandemie hat viele dieser Probleme verschärft.
Und hier ist eben die Frage spannend, was Kirche tun kann, um Familien heute bei ihrem Balanceakt besser zu unterstützen, schließlich liegt die Zukunft von Kirche nicht nur in Kindern und Jugendlichen, sondern auch den dazu gehörigen Eltern.
Jetzt suchen Sie Kirchengemeinden – was kommt auf interessierte Gemeinden zu?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Zwischen Juni und Oktober möchten wir nun mit Kirchengemeinden über ihre Familienarbeit sprechen. Der Prozess ist dreistufig: In einer sehr kurzen Mini-Befragung über ein Online-Formular können sich Gemeinden bei uns melden und geben uns dabei einen ersten Eindruck. Dann führen wir ein Vorinterview mit einer Haupt-Ansprechperson, zum Beispiel einer Pfarrperson. Im letzten Schritt führen wir ein Gruppeninterview (zwei bis fünf Haupt- oder Ehrenamtliche) und fragen detailliert nach: Welche Angebote gibt es? Wie wird das angenommen? Was läuft gut, was schlecht, wo liegen die Probleme? Wohin will sich die Gemeinde entwickeln? Die Ergebnisse sollen den Gemeinden auch selbst als Reflexion ihrer bisherigen Arbeit dienen sowie Ihnen Impulse geben, wo es hingehen kann.
Dabei dürfen die Gemeinden entscheiden, ob sie in der Auswertung und im Studienbericht namentlich genannt werden oder anonym bleiben wollen.
Was für Gemeinden sollen sich melden?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Wir suchen Gemeinden, die sich in Sachen Familie auf den Weg gemacht haben und ganz subjektiv sagen würden, dass sie ein gutes Praxisbeispiel sind. Wir versuchen, wie bei den Familien ein ausgewogenes Bild zu bekommen: groß, mittel, klein, aus allen Prälaturen, städtisch, ländlich.
Wie praxisnah werden am Ende die Ergebnisse sein?
Prof. Dr. Johanna Possinger: Unser Studienbericht soll natürlich der Landeskirche als Institution wertvolle Informationen, soziologische Befunde und Impulse geben, aber er soll auch für ganz normale Gemeinden spannend und hilfreich sein. Er wird viele konkrete, alltagsnahe Anregungen aus den Familien und aus den Gemeinden enthalten.
Die Studie soll helfen, ungenutzte Potenziale zu entdecken und zu heben. Denn Familien haben Lust auf Kirche und Lust darauf, dass Kirche sich verändert.
Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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