Pfarrerin Linde Wenzlaff über Gottesdienste für werdende Eltern
Linde Wenzlaff feiert in der Martinskirche in Tübingen am Samstag, 7. Mai, um 17 Uhr einen Gottesdienst für werdende Eltern. Im Interview erklärt die Pfarrerin, warum Eltern in dieser Lebensphase Zuspruch und Segen besonders stark benötigen und was in dem Gottesdienst geschieht.
Was geschieht bei der Segnungsfeier?
Linde Wenzlaff: Wir feiern einen Gottesdienst und segnen darin werdende Eltern und ihre Kinder. Außerdem singen wir bekannte Lieder, die die werdenden Eltern in den Wochen vor der Geburt stützen und stärken und ihnen Gottes Gegenwart im Schwangerschaftsprozess bewusstmachen können. Und wir zeigen den Eltern, wie sie ihren Kindern selbst Segensworte zusprechen können. Dazu werde ich Worte vorsagen und die Eltern können sie dann wiederholen und ihrem Kind zusprechen. Wenn sie wollen, können sie auch ihre Hände auf dem Bauch legen.
An wen richtet sich die Feier?
Wenzlaff: Ich möchte in dieser besonderen Lebenssituation für die Eltern da sein. Zum einen möchte ich die Frauen stärken und ihnen Segen zusprechen. Ich lade aber auch die Väter ein, die sich in einer ähnlichen Situation befinden: Auch sie benötigen Segensworte, Zuspruch und mutmachende Rituale. Ich richte mich nicht ausschließlich an junge Paare, die gerade geheiratet haben und ein Kind erwarten, sondern an alle Menschen, die Fürsorge für ein Kind übernehmen wollen. Auch Freunde oder Omas können mitkommen.
Warum benötigen werdende Eltern einen Segen?
Wenzlaff: Segen benötigen alle Menschen. Segnen bedeutet Kennzeichnen – in diesem Falle mit etwas Gutem. Gutes wird dabei über den Menschen ausgesprochen, zum Beispiel Segensworte aus der Bibel, die von den Gesegneten oft als Zuspruch und mutmachend empfunden werden. Ich glaube, dass das für Menschen in dieser Zeit etwas sehr Besonderes oder Stärkendes sein kann. Frauen sind während einer Schwangerschaft in einer Situation, die alles andere als alltäglich ist. Sie tragen ein neues Leben im Bauch, es ist eine Grenzerfahrung. Vielleicht haben manche auch schon Fehlgeburten erfahren und wissen umso mehr um die Zerbrechlichkeit von Leben und wie besonders es ist, wenn ein Kind gesund wachsen kann. Mit allen Fragen und Ängsten, aber auch mit Dank vor Gott treten zu können, dafür hoffe ich, einen Rahmen schaffen zu können.
Was sind andere Sorgen oder Themen werdender Eltern?
Wenzlaff: In der Schwangerschaft sind Frauen in ständiger ärztlicher Begleitung und werden von Ärztinnen und Ärzten auch als Patientinnen, als Menschen, die eine medizinische Betreuung benötigen, wahrgenommen. Für sie ist es eine schwierige Situation, dass sie „guter Hoffnung“ sein wollen, aber gleichzeitig medizinisch sehr engmaschig kontrolliert werden. Es ist wichtig, dass sie sich nicht krank fühlen, sondern hoffnungsvoll bleiben. Und dass sie, aber auch die Ärztinnen und Ärzte, merken, dass sie auch auf Gottes gute Begleitung angewiesen sind und dass es vieles gibt, das sie und die Ärztinnen und Ärzte nicht in der Hand haben.
Wenn eine Schwangerschaft glückt, machen sich manche Familien große Sorgen, ob das Kind sich gesund entwickelt, aber auch, ob sie gute Eltern sein werden. Auch für die Beziehungen bedeutet gemeinsame Elternschaft eine große Veränderung, da neue Rollen hinzukommen. In dieser Zeit wird selbst in der Großfamilie vieles nochmal neu ausgelotet.
Wie kamen Sie auf die Idee zu einer Segnungsfeier?
Wenzlaff: Ich bin selbst Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter und habe, je mehr es Richtung Geburt zuging, gemerkt, dass mir in dieser Situation ein Zuspruch gut getan hätte. Es gibt zwar für viele Lebenssituationen in der Kirche Feiern, aber für die Zeit, in der Eltern neues Leben zur Welt bringen, gibt es kaum Angebote. Das kam mir vor wie eine Leerstelle. Deshalb habe ich mir vorgenommen, als Pfarrerin einen Raum für Familien, die ein Kind erwarten, anzubieten.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie?
Wenzlaff: Dieser Segnungsgottesdienst ist erst der zweite. Im Oktober habe ich zum ersten Mal dazu eingeladen. Letztes Jahr war noch eine sehr überschaubare Gruppe an Schwangeren da. Alle waren sehr gerührt und haben auch eine Kleinigkeit mitbekommen, die sie an die Feier erinnern sollte. Sie haben das kleine Geschenk mit Tränen in den Augen in den Händen gehalten und gesagt, dass sie es dem frischgeborenen Kind ins Bett legen wollen.
Das Thema ruft auch bei Menschen, die gerade nicht unmittelbar ein Kind erwarten, viel hervor. Ich bekomme sehr viele Rückmeldungen von Frauen, aber auch Männern, wie schön es ist, dass es von der Kirche so ein Angebot gibt und dass es sich dabei um ein wichtiges Thema handele, dass man spirituell-religiös bedenken müsse. Auch ältere Frauen haben mir erzählt, dass sie froh seien, dass ich nun solche Gottesdienste feiern würde und mir zum Beispiel von den Geburten ihrer Kinder erzählt. Zur letzten Segensfeier kamen Omas, die Enkelkinder erwarten, deren Kinder selbst aber nicht in Tübingen wohnen.
„Das Thema ruft auch bei Menschen, die gerade nicht unmittelbar ein Kind erwarten, viel hervor.“
Solche Segensfeiern gibt es noch nicht lange. Warum?
Wenzlaff: Langfristig kirchengeschichtlich gesehen, ist Schwangerschaft wahrscheinlich ein sehr weibliches Thema, das von den Kirchenvätern nicht sonderlich bedacht worden ist. Lutherisch betrachtet, haben leibliche Themen in Gottesdiensten kaum eine Form gefunden. Eine positive Einstellung zu Körper und Leiblichkeit gab es lange nicht. Und gleichzeitig gibt es biblische Geschichten, die von Kindsbewegungen im Bauch sprechen. Zum Beispiel bei Johannes, der sich im Bauch seiner Mutter Elisabeth bewegt, als Maria sie besucht. Und in Psalm 22 heißt es: „Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen“. Gott selbst wird in den Psalmen als Hebamme beschrieben. Theologisch lässt sich außerdem sagen, dass die Schwangerschaft ein schöpferischer Prozess ist, in dem Frauen mit dem Kind im eigenen Bauch zu Mitschöpferinnen werden. Das Sprechen über solche körperliche Erfahrungen, die zudem mit Emotionen verbunden sind, muss in der Kirche noch eingeübt werden.
„Gott selbst wird in den Psalmen als Hebamme beschrieben.“
Wer wirkt an dem Gottesdienst mit?
Wenzlaff: Unsere Kirchenmusikerin, vermutlich eine Hebamme und ich. Weil das Gottesdienstformat erst am Entstehen ist, kann es sein, dass der Kreis derer, die mitmachen, noch größer wird.
Planen Sie weitere Segnungsfeiern?
Wenzlaff: Das hängt davon ab, wie viele Menschen Interesse haben. Ich habe mir vorgenommen, jedes halbe Jahr einen Gottesdienst anzubieten, eventuell auch dreimal im Jahr, damit alle die Chance haben, einmal während der Schwangerschaft dorthin zu gehen.
Was wünschen Sie als Pfarrerin jungen Familien und werdenden Eltern?
Wenzlaff: Ich wünsche ihnen, dass sie sich mit allem, was passiert, gesegnet fühlen. Der Gottesdienst ist auch eine Möglichkeit, Segen einzuüben, also als Gesegnete herausgehen, aber gleichzeitig einmal geübt zu haben, ein Kind zu segnen. Ich hoffe, dass die Eltern ermutigt werden, ihre Kinder zu segnen, wenn sie geboren sind.
„Ich hoffe, dass die Eltern ermutigt werden, ihre Kinder zu segnen, wenn sie geboren sind.“
Wie kann das ablaufen?
Wenzlaff: Im Alltag kann man den Kindern die Hand auf den Kopf legen und sprechen: Gott segne dich. Dafür braucht es keine komplizierten Worte. Man kann den Kindern den Segen zusprechen, wenn sie selbst noch gar nicht die Wörter verstehen, aber auch später beim Zubettbringen, beim in die Schule bringen oder vor Reisen.
Wie erreichen Sie Menschen?
Wenzlaff: Über Flyer, die ich bei Hebammen, Ärztinnen und Ärzten oder in Kindergärten auslege. Aber es ist nicht leicht, die Segnungsfeier zu bewerben. Ich wage es, so einen Gottesdienst in Tübingen anzubieten, weil hier viele junge Menschen leben und es viele Gemeinden gibt. Auf dem Dorf müsste man so eine Idee wahrscheinlich bezirksübergreifend planen.
Inwiefern können denn mit diesem Angebot Menschen angesprochen werden, die bisher nicht in die Kirche gehen?
Wenzlaff: Im säkularen Bereich gibt es im Moment einen Trend, bei dem sich Frauen vor der Geburt zu Hause treffen oder mit Freundinnen gemeinsam ein Ritual gestalten. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Sie bemalen zum Beispiel den Bauch oder basteln ein Mobile. „Blessing-Way-Zeremonien“ werden diese Treffen genannt. Eine Zäsur zu setzen und bewusst zu begehen, dass sich etwas ändert, ist gerade ein gesamtgesellschaftlicher Trend.
Wir machen in der Kirche zu wenige Angebote für junge Menschen nach der Konfirmation bis sie selbst Taufeltern sind, obwohl sie unsere Zukunft sind. Und in dieser Zeit passiert unwahrscheinlich viel. Junge Menschen werden volljährig, machen eine Berufsausbildung oder studieren, sie steigen in die Arbeitswelt ein und gründen eine Familie. Ich möchte junge Menschen einladen, in dieser Zeit in kirchliche Räume zu kommen, auch wenn mein Angebot nur ein Mosaikstein von vielen anderen ist. Menschen dieser Altersgruppe könnten genauso in den Gottesdienst kommen, aber er ist kein gezieltes Angebot für ihre jeweilige Situation.
„Eine Zäsur zu setzen und bewusst zu begehen, dass sich etwas ändert, ist gerade ein gesamtgesellschaftlicher Trend.“
Haben Sie weitere Ideen, wie junge Menschen angesprochen werden können?
Wenzlaff: Vor allem aus katholischen Gemeinden kenne ich Beziehungs- und Paarabende, um über Beziehung zu sprechen. Bei uns gibt es bisher nur wenige solcher Angebote. Auch Kinderwunsch und Fehlgeburten empfinde ich gesamtgesellschaftlich als Tabuthema. Solche Erfahrungen könnten wir in einem anderen Rahmen als in einem Gottesdienst begleiten. Bei den Menschen, die für eine kirchliche Trauung die Kirche aufsuchen, bietet sich an, im Traugespräch darüber zu sprechen, aber das hängt sicherlich stark von der persönlichen Beziehung zu den jungen Paaren ab.
Schon gewusst?
Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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