Zum 125. Geburtstag von Paul Schneider

„Gott mehr gehorchen als den Menschen“

Margarete und Paul Schneider bei ihrer Verlobung 1922.Bild: Famile Paul Schneider

Paul Schneider war im Dritten Reich einer der ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche. Kaum einer hat so konsequent wie er dem Hitler-Regime widerstanden. Er lebet nach dem Bibelwort „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,9). In dieser Überzeugung hat er das KZ und seinen Tod auf sich genommen. 

Am 29.8.1877 wurde Paul Schneider in Pferdsfeld bei Bad Kreuznach geboren. Dort war sein Vater Pfarrer. 1910 zog die Familie nach Hochelheim (heute Hüttenberg) bei Gießen. 1914  starb seine Mutter, an der er sehr gehangen hatte. 1915 wurde er nach dem Notabitur Kriegsfreiwilliger, kämpfte in Russland und Frankreich und kam nach alledem zur Überzeugung, nur der Glaube an Jesus Christus könne uns helfen, aufrecht und mutig zu leben.

Paul Schneider 1934.Bild: Famile Paul Schneider

Heirat mit Margarete Dieterich

Er studierte Theologie in Gießen, Marburg und Tübingen. Im Pfarrhaus in Weilheim lernte er Margarete Dieterich kennen und lieben, mit der er 1926 Hochzeit feierte. Vorher war er nach  seinem Studium Hilfsarbeiter am Hochofen in Hörde. Er wollte erkunden, in welches Versteck sich bei den Arbeitern der Glaube verzogen hat. Nach dem Besuch des Predigerseminars in Soest lernte er in der Berliner Stadtmission die Volksmission in den Hinterhöfen der Großstadt kennen. Nachdem sein Vater im Januar 1926 auf der Kanzel gestorben war, wurde er als dessen Nachfolger zum Pfarrer von Hochelheim gewählt. 

Amtsenthebung

Als Pfarrer von Hochelheim und Domholzhausen (1926-1934) warb er leidenschaftlich um den Glauben der ihm anvertrauten Gemeindeglieder. Seine Frau Gretel, die ihm zwischen 1927 und 1937 sechs Kinder gebar, hat ihn nach Kräften in seiner Arbeit unterstützt. Nicht immer blieb sein Einsatz frei von Konflikten. Dass er das „Jugendabendmahl“, das zweimal Im Jahr für alle in den letzten fünf Jahren konfirmierten Jugendlichen stattfand, abschaffte und durch ein „Bekenntnismahl“ ersetzte, billigte sein Presbyterium nicht. Aber da beim Jugendabendmahl die Teilnahme sozusagen zum guten Ton gehörte, wollte er es nicht mehr verantworten. Er konnte und wollte nicht der „Zeremonienmeister“ einer verlogenen Veranstaltung sein. Als er sich sehr kritisch mit einem Artikel des SA-Chefs Röhm gegen das „Muckertum“ auseinandersetzte, verlangte der Landrat und NSDAP Gauführer beim eben gewählten rheinischen Bischof die Absetzung des systemfeindlichen Pfarrers: „dieser Mensch gehört in ein Konzentrationslager und auf keine deutsche Kanzel“. Der neue Landesbischof gab dem  Gauführer nach und enthob Paul Schneider seines Amtes. Im Frühjahr 1934 versetzte er ihn gegen seinen Willen auf den Hunsrück nach Dickenschied und Womrath.

Eine Zeichnung, die Paul Schneider im Gefängnis für seinen Sohn Gerhard angefertigt hat.Bild: Famile Paul Schneider

Haft und Ausweisung

Dort traf er auf zwei kleine Gemeinden, die entschieden zu ihrem Pfarrer hielten. Aber schon nach sechs Wochen kam es zum Konflikt, als bei der Beerdigung eines Hitler-Jungen der Kreisleiter den Verstorbenen „in den himmlischen Sturm Horst Wessel“ versetzte. Schneider protestierte dagegen. Am nächsten Tag wurde er verhaftet. Die kurze Haft in Simmern war ein Warnsignal, seither stand er auf der Liste der Verdächtigen. Im März 1935 kam es zur zweiten Verhaftung, weil er nicht bereit war, auf die Verlesung eines Kanzelwortes zu verzichten, in dem die Bekennende Kirche gegen die religiöse Verklärung des Nationalsozialismus und seines Führerkultes protestierte. Auch diese Haft war kurz. Aber nun häuften sich die Konflikte. Oft wurde er angezeigt, etwa weil er nicht bereit war, den Konfirmandenunterricht, der im Schulhaus stattfand, mit „Heil Hitler“ zu beginnen. Oder weil er in der Predigt die NS-Ideologie kritisierte. Oder weil er sich damit auseinandersetzte, dass Lehrer im Religionsunterricht das Alte Testament als „Judenbuch“ disqualifizierten. 

Zur dritten Verhaftung kam es Ende Mai 1937, nachdem er einige Wochen lang infolge eines Motorradunfalls mit dreifach gebrochenem Bein im Krankenhaus gelegen hatte. Sieben Wochen lang war er nun in Koblenz inhaftiert. Er übte sich in der Fürbitte für alle Gemeindeglieder und lernte viele Lieder und Bibelworte auswendig, um für spätere Haftzeiten gerüstet zu sein. 

Als er Ende Juli entlassen wurde, teilte man ihm zugleich mit, der Staat habe ihn aus dem Rheinland, also auch aus seinen Gemeinde Dickenschied und Womrath, ausgewiesen. In Wiesbaden, also außerhalb des Rheinlands, ließ die Gestapo ihn frei.

Darf Hitler in die Gemeinde Jesu hineinregieren? 

Darf die Kirche Jesu Christi sich solche Eingriffe gefallen lassen? Noch am selben Tag fuhr Paul Schneider nach Dickenschied zurück, um dort und in Womrath am Sonntag zu predigen. Mit großer Mühe gelang es Gretel, ihn zu einer Erholungszeit in Baden-Baden zu bewegen. Was nun? Ein Vertreter der Bekennenden Kirche (BK), Johannes Schlingensepen, besuchte ihn und stand ihm bei. Aber die BK konnte ihm nicht zusagen, dass sie die zahlreichen ausgewiesenen Pfarrer zur Rückkehr in ihre Gemeinden auffordern würde. Auch Gretel war eine Woche bei ihm. Schweren Herzens akzeptierte sie seine Haltung. Sie wollte ihm nicht zumuten, gegen sein Gewissen zu handeln und dann mit ausgerenktem Rückgrat leben zu müssen.

Margarete Schneider mit ihren Kindern – dieses Foto schickte sie Weihnachten 1937 an ihen Mann ins KZ Buchenwald. Es hat ihn nie erreicht.Bild: Famile Paul Schneider

Am 2. Oktober 1937 kehrte er in seine Gemeinde Dickenschied zurück und hielt dort am Tag darauf den Erntedankgottesdienst. Auf dem Weg zum Abendgottesdienst in Womrath wurde er wieder verhaftet und für die nächsten Wochen in ein SA-Gefängnis in Koblenz gebracht. Aus dieser Zeit vor allem sind viele Briefe erhalten, die sich sehr kritisch mit dem Weg der Kirche mit dem NS-Regime auseinandersetzen. Ein Häftling hat sie bei seiner Entlassung an der Zensur vorbei herausgeschmuggelt. Die entscheidende Frage auch während dieser Haft blieb, ob er das staatliche Ausweisungsgebot annehmen können. Weil er das beharrlich verweigerte, wurde er Ende November 1937 in das KZ Buchenwald bei Weimar überstellt. 

Im KZ Buchenwald

Dort traf er ganz direkt auf das brutale Unrechtssystem des Nationalsozialismus. In den sieben Jahren, in denen das KZ Buchenwald bestand, wurden dort etwa 56.000 Menschen auf jede nur denkbare Weise zu Tode gebracht.

Die Grausamkeit steigerte sich für Paul Schneider noch, als er am 20. April 1938, beim Fahnenappell zu Hitlers Geburtstag sich weigerte, seine Mütze abzunehmen. Er wurde auf dem „Bock“, auf dem viele Häftlinge totgeschlagen wurden, schwer geprügelt und dann zur Einzelhaft in den „Bunker“, den Arrestbau, gesteckt. Eineinviertel Jahre hat er dort unter unvorstellbaren Bedingungen ausgehalten. Martin Sommer, ein sadistischer Massenmörder, hatte hier das Regiment. Er hat sehr viele Häftlinge zu Tode gequält. Paul Schneider hat es dennoch versucht, den gut 7.000 zum Morgenappell angetretenen Häftlingen Bibelworte zuzurufen. Diese Versuche wurden jeweils durch wütende Schläge erstickt. Aber Worte Jesu wie „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis … „oder an Ostern Jesu Wort „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ haben vielen geholfen. 

Besonders nach dem 9. November 1938, als Tausende Juden bei Tag und Nacht auf dem Appellplatz lagen, hat er laut deren Freiheit gefordert. Einen jungen Juden, der in all den Qualen wahnsinnig geworden war, hat er bis zu dessen Tod in seine enge Zelle aufgenommen. 

Seine Frau war schon im Januar 1938 nach Berlin gefahren, um dort bei der Gestapoführung seine Entlassung zu erwirken. Fünf Mal hatte sie die Zentrale der Gestapo aufgesucht. Ohne jeden Erfolg. Sie schrieb ihm, so oft sie durfte, aufmunternde Briefe, auch in der langen Zeit, in der er Postsperre hatte und alle ihre Briefe zurückgeschickt wurden. Gretel half ihm oft durch ausgesuchte Bibelworte. So erhielt er, nachdem er seine Finger ins Verbrecheralbum drücken musste, von ihr das Wort „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind“ (Lk 10,20). Wenigstens zwei Brüder aus der BK versuchten, ihn zu besuchen: Sein Schwager Karl Dieterich, den die Posten mit dem Maschinengewehr davonjagten. Und Kurt Scharf, der immerhin bis zum Büro des KZ-Kommandanten vordrang. Auch ihm gelang es nicht, Paul Schneider zu sprechen. Sehr hilfreich für Paul Schneider und seine Familie war es auch, dass er durch die Fürbittliste der Bekennenden Kirche vielen bekannt wurde und sehr viele ihn in ihre Fürbitte aufnahmen. 

Zwei Dinge wollte er keineswegs unterschreiben: Dass er von dem, was er hier erlebt hatte, anderen Personen nichts weitersage. Und dass er seine Ausweisung aus dem Rheinland annehme. Daraufhin hat ihn der KZ-Arzt kaltblütig mit Spritzen ermordet. Der Leichnam von Paul Schneider wurde von seiner Frau abgeholt. Am 21. Juli 1939 wurde er unter großer Beteiligung der BK in Dickenschied beerdigt. Die deutsch-christlich bestimmte Kirchenleitung in Düsseldorf wusste nichts Besseres, als sich  beim Staat zu beschweren, dass er diese Beerdigung zugelassen habe. 

Paul Schneider ist bis zum heutigen Tag für viele einer, dessen Mut und dessen Treue zu Jesus Christus uns allen viel zu denken aufgibt. 

Näheres zu Paul Schneider in:

Margarete Schneider: Paul Schneider Der Prediger von Buchenwald, hrsg. v. Eisa-Ulrike Ross und Paul Dieterich, SCM-Verlag Hänssler, erweiterte Neuausgabe 2021 (12. Gesamtauflage), 18 Euro, zu beziehen durch Buchhandlungen oder durch Paul Dieterich, Ulrichstr.3 73235 Weilheim-Teck (paul.dieterich@t-online .de). 

Paul Dieterich 

Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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