Interview mit Maximilian Mohnfeld (EJW) über eine Gaming-Freizeit an Silvester
Wer an Computerspiele denkt, sieht vor seinem inneren Auge sicher nicht als erstes eine kirchliche Jugendfreizeit. Und doch: Das Evangelische Jugendwerk in Württemberg (EJW) bringt diese beiden Welten in einer mehrtägigen Jugendfreizeit unter dem Titel „Spawnpoint“ über Silvester zusammen. Mit 22 Teilnehmenden ist die Freizeit voll ausgebucht. Wie das funktioniert und worum es dabei geht, erklärt Maximilian Mohnfeld, Mitarbeitender des EJW und selbst leidenschaftlicher Gamer.
An wen richtet sich die Gaming-Freizeit?
Maximilian Mohnfeld: Die Freizeit richtet sich an Gamerinnen und Gamer im Alter von 16 bis 20 Jahren. Wir decken drei verschiedene Genres ab, um unterschiedliche Menschen abzuholen: League of Legends (kurz LoL) ist ganz vereinfacht gesagt ein Strategiespiel, bei dem man als Team die Basis des gegnerischen Teams zerstören muss. Außerdem können die Teilnehmenden den Shooter „Valorant“ spielen, der ab 16 zugelassen ist. Das dritte Spiel ist Fortnite. Es ist nach wie vor heiß begehrt und nachgefragt. Wichtig ist uns, dass keine Spiele ab USK 18 gespielt werden. Das Maximum ist USK 16, eher noch darunter. Um zu gewährleisten, dass keine Zwölfjährigen Spiele ab 16 oder 18 spielen würden, ist die Freizeit ab 16.
Wann wird gespielt? Und was ist bei der Freizeit sonst noch geplant?
Maximilian Mohnfeld: Morgens und abends gibt es Spielphasen. Dafür werden Teams zusammengewürfelt, die aber immer wechseln können. Wir spielen vor allem mit- und gegeneinander, aber nicht online gegen fremde Menschen. Wir werden voraussichtlich fünf Teams haben und können deshalb auch ein Turnier veranstalten.
Nachmittags gibt es ein Gegenprogramm mit screenfreien Zeiten. In den Mittagspausen verzichten wir bewusst auf Handynutzung, sodass wir uns miteinander beschäftigen können und Gesellschaftsspiele spielen. Für die Nachmittage sind verschiedene Programmpunkte geplant. Wir machen Sportangebote wie Fußball oder Jugger. Aber wir machen auch Workshops zum Thema E-Sport und Gaming. In einem Gaming-PC-Bauworkshop erklärt ein Computerspezialist den Jugendlichen, wie man einen Gaming-Computer zusammenbaut.
Außerdem wollen wir den Jugendlichen aufzeigen, welche Berufsperspektiven in diesem Bereich möglich sind. An diesem Workshop-Nachmittag finden deshalb auch berufsbildende Workshops rund um das Thema Gaming statt. Die Jugendlichen denken sofort an den Beruf des E-Sportlers, also dass sie damit hauptberuflich Geld verdienen, oder auch an den Beruf des Streamers. Beim Streaming geht es darum, dass Content auf Streaming-Plattformen geteilt wird. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten, zum Beispiel als Spiele-Entwickler, PC-Spezialistinnen und -Spezialisten oder Kommentatoren, die hauptberuflich Spiele kommentieren. Da ist viel möglich, und wir wollen den Jugendlichen auf unterschiedlichste Art einen Einblick ermöglichen.
Welche Rolle spielt Gemeinschaft?
Maximilian Mohnfeld: Schon morgens machen wir einen gemeinsamen Einstieg und entdecken zusammen einen Bibeltext. Das machen wir anhand der Gamer-Sprache. Viele Wörter haben in dieser Szene eine besondere Bedeutung. „GG“ steht zum Beispiel für „Good Game“. Das schreibt man in einen Chat, wenn das Spiel gut gelaufen ist und man sich noch einmal beim Gegner bedankt. Anhand dieser Begriffe wollen wir die biblischen Geschichten aufziehen.
Außerdem ist uns sehr wichtig, dass die Spiele einen gemeinschaftlichen Charakter haben. Deshalb werden wir keine Singleplayer-Spiele spielen, die allein gespielt werden, sondern uns geht es darum, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch als Team agieren.
Neben unserem Nachmittagsprogramm kochen wir zusammen. Wir wollen den Jugendlichen mitgeben, dass eine gesunde Ernährung für sie wichtig ist.
Werden auch die problematischen Seiten des Gamings thematisiert?
Maximilian Mohnfeld: Auf jeden Fall. Bei aller Leidenschaft und Begeisterung, die ich selbst für das Thema habe, gibt es Schattenseiten und Gefahrenpotenziale, die man nicht ausklammern sollte. Zum Beispiel die Gefahr der Computerspielsucht (offiziell „Internet Gaming Disorder“). Aber das sei gleich vorweg gesagt: Wenn eine Jugendliche oder ein Jugendlicher zwei bis vier Stunden am Tag Computer spielt, hat er nicht automatisch eine Computerspielsucht. Das wäre zu kurz gegriffen. Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle.
Außerdem besteht die Gefahr, dass Jugendliche, die oft zu Hause spielen und nicht in Online-Communities eingebettet sind, vereinsamen. Auch Mobbing ist ein Thema. Manchmal kommt es zu einem toxischen Umgang in den Communities, zum Beispiel in Chats. Eine andere Schattenseite ist die Missachtung des Jugendschutzes. Wenn ich in einer Austauschrunde frage, welche Spiele die Jugendlichen spielen, geschieht es häufig, dass sie Games nennen, die nicht für ihr Alter bestimmt sind.
Hinzu kommen die Themen Kommerzialisierung und Verschuldung. Viele Computerspielhersteller arbeiten mit Glücksspielmechanismen, um Menschen zu einem Ingame-Kauf zu zwingen. Dann werden zum Beispiel Verschönerungen angeboten, die im Spiel hinzugekauft werden können. Das bietet das Potenzial, in eine Schuldenfalle hineinzutappen.
Auch Sexismus ist ein großes Thema. Er ist leider immer noch vorhanden.
Wir sprechen diese Themen offen an. Das geschieht auf unterschiedlichste Art und Weise. In einer Einheit auf der Freizeit dürfen die Teilnehmenden den anderen ihr Lieblingsspiel vorstellen. So kommen wir wie von selbst über diese Themen ins Gespräch und reden über Fragen wie: „Habt ihr schon mal Geld ausgegeben, um euch eine Verschönerung im Spiel zu kaufen?“ Oder: „Habt ihr schon mal mehr Geld für ein Spiel ausgegeben, als ihr auf dem Konto hattet?“ Und: „Wie sieht das eigentlich mit dem Thema Mobbing in euren Communities aus?“
Welche Rolle spielt Gaming in der Jugendarbeit und welche Chancen birgt es?
Maximilian Mohnfeld: Die Rolle von Gaming in der Jugendarbeit wird immer größer. Unter Jugendlichen ist Gaming ein riesiges Thema. Laut Jim-Studie 2022 spielen 76 Prozent der Jugendlichen täglich oder mehrmals pro Woche. 94 Prozent spielen mindestens einmal im Monat. Sechs Prozent der Jugendlichen spielen gar nicht. Das zeigt die Bedeutung dieses Themas für Jugendliche. Sie wächst stetig und ist nicht erst seit Corona ein Thema, sondern seit vielen Jahren. Jugendliche verbringen viel Zeit in diesen Spielen. Und wenn wir in der Jugendarbeit uns immer an den Welten der Jugendlichen orientieren wollen, müssen wir auch diese neue Welt von Jugendlichen ernstnehmen und darin präsent sein.
Das Durchschnittsalter von Gamerinnen und Gamern in Deutschland liegt übrigens bei 37 Jahren. Gaming ist deshalb kein reines Jugendphänomen, sondern mitten in der Gesellschaft angekommen. Viele Erwachsene spielen. Auch Rentnerinnen und Rentner oder Menschen ab 60 haben eine Begeisterung für dieses Spielen entdeckt, und ich glaube, wir sollten als Jugendarbeit in diese Szene hinein, diese Lebenswelt kennen und uns auch darin auskennen, was die Vorteile und Nachteile angeht.
Für mich ist es auch eine interessante Möglichkeit, diese Szene zu erreichen, die noch nicht in unseren kirchlichen Angeboten erschienen ist. Es bietet neue Möglichkeiten, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Als Jugendverband oder Jugendwerk müssen wir außerdem die Medienkompetenz bei Jugendlichen schulen, auch über das Gaming hinaus.
Wir müssen Angebote für Mitarbeitende, die mit dem Thema noch nicht so vertraut sind, schaffen. Im nächsten Jahr findet eine Eltern-LAN-Party zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung statt, zu der wir gezielt Erziehungsberechtigte einladen, die dieses Angebot entdecken und auch mal die Spiele erleben können, die ihre Kinder spielen. Außerdem veranstalten wir im kommenden Jahr interaktive Infoabende für ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeitende in unterschiedlichen Bezirken, bei denen Interessierte das Spielen ausprobieren können.
Wie ist das Verhältnis von Glauben und Gaming?
Maximilian Mohnfeld: In manchen christlichen Kreisen wurde Gaming häufig verteufelt nach dem Motto: Wie kann man nur in solche Fantasiewelten abtauchen? Und wie kann man damit Zeit verschwenden? Man hat doch am Ende nichts davon. Ich merke, dass es inzwischen eine größere Offenheit und Akzeptanz gibt, auch in Gemeinden und Jugendverbänden.
Zwischen Glauben und Gaming gibt es viele Parallelen. Sehr häufig wird in den Spielwelten Religion thematisiert oder eingebaut. Das kann explizit sein, indem es beispielsweise Riten gibt oder Religion offensichtlich eine Rolle spielt. Es gibt aber auch implizierte Religion, die das Thema behandelt: Wer hat die Welt erschaffen? Oder: Gibt es einen Erlöser für diese Welt? Religiöse Themen schwingen im Hintergrund mit. Spiele arbeiten schon lange damit, Religion immer wieder einzubeziehen.
Im kommenden Jahr soll das zur Zeit der Bibel handelnde Game „One of 500“ herauskommen. Ich bin sehr gespannt, wie man die Bibel zocken kann und welche Möglichkeiten die Spielenden haben, Entscheidungen zu treffen. Auch für die Verkündigung sind Spiele sehr gute Aufhänger.
Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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