22.02.2023 So kommen 25 Tonnen Hilfe in die Ukraine

4000 km mit tonnenschwerer Beladung – so werden Hilfstransporte organisiert

Seit Kriegsbeginn bringen LKWs Hilfsgüter aus Deutschland zu den betroffenen Menschen, in die Ukraine und in die Nachbarländer.  Wie organisiert man solch einen solchen Transport? Wir haben mit Ulrich Hirsch gesprochen, Projektleiter des Gustav-Adolf-Werks (GAW) für die Hilfstransporte.

Die Beladung eines Transports bedarf genauer Planung und vieler Helfer. Bild: Gustav-Adolf-Werk Württemberg

Was wird gerade jetzt gebraucht – hat sich der Bedarf seit Beginn der Transporte verändert?

Ulrich Hirsch: Nach wie vorwerden Grundnahrungsmittel gebraucht, zum Überleben in den Bunkern. Mit einem kürzlich durchgeführten Transport, der in die Stadt Chernyihiv nahe der weißrussischen und russischen Grenze ging, stattete unser Partner eine Region mit 100 „Überlebenspaketen“ aus, bestehend aus je einem Bananenkarton, gefüllt mit den nötigsten Lebensmitteln, sowie je einem Gaskocher und einem Erste-Hilfe-Set. Im November und Dezember 2022 waren aufgrund der immensen Stromausfälle sowohl Generatoren und Inverter*, als auch Kerzen in großen Mengen gefragt. Im Frühjahr haben wir jeweils zehn Tonnen Saatmais und Kartoffeln geliefert.

*Gerät zur Stromerzeugung, liefert im Gegensatz zu einem konventionellen Generator auch Gleichstrom, mit dem man z.B. Smartphones laden kann, Anm.d.Red.

Gruppenbild der Organisatoren und Helfer des ersten Transports 2023, mit vier geflüchteten Ukrainern. Zweiter von rechts: Projektleiter Ulrich Hirsch. Bild: Gustav-Adolf-Werk Württemberg

Wie läuft die Organisation ab: Wie finden Sie die Helfer, woher kommen die LKWs und die Fahrer?

Ulrich Hirsch: Für mich heißt es schon seit einem Jahr „nach dem Transport ist vor dem Transport“. Unsere Partner vor Ort melden uns den aktuellen Bedarf; sie wissen genau, was wann und wo gebraucht wird. Das ist der Grund, warum wir vor allem Geldspenden benötigen: So können wir gezielt einkaufen, z.T. auch mit großem Mengenrabatt. Ich bestelle die Waren, organisiere den LKW und plane den richtigen Ladeablauf bezüglich Ladestopps und Zeiten.

Die Helfer kommen größtenteils aus dem Raum Sachsenheim/Bietigheim. Die meisten sind Frührentner, die sich gerne ansprechen ließen und immer wieder gerne kommen. Ich wollte schon lange geflüchtete Ukrainer, die hier wohnen, mitarbeiten lassen; beim letzten Transport war es so weit: Vier Ukrainer halfen bei der Beladung. Auch beim zweiten Transport in diesem Jahr, der am Jahrestag des Kriegsbeginns startet, wird einer der Geflüchteten wieder helfen.

Bei den meisten Transporten, die über Ungarn nach Transkarpatien gehen, habe ich den LKW der mit unserem Partner verbundenen Firma an der ukrainischen Grenze verpflichten können.

Weitere Transporte, etwa nach Polen, Tschechien und Kroatien, führten deutsche Unternehmen durch. Zwei Transporte wurden uns dabei sogar gespendet.

Länge und Gewicht des 40-Tonners stellen besondere Anforderungen an die Organisation. Bild: Kurt Rapp

Welche besonderen Herausforderungen gibt es bei der Organisation?

Ulrich Hirsch: Man muss bei Sachspenden (Pflegebetten, Möbel, Mineralwasser) auf die Öffnungs- und Abholzeiten der Einrichtungen und Firmen achten, aber auch die Anreise und die Zufahrtswege einplanen: Der LKW hat in der Regel ein Gesamtgewicht von 40 Tonnen bzw. 25 Tonnen Nutzlast und ist 15 m lang, also nicht für alle schmalen Straßen geeignet. Das bringt mich in der Planung manchmal ganz schön unter Druck – ich muss Abholen und Beladen genau planen und die Helfer einteilen.

Für jeden Transport plant Ulrich Hirsch ein Helferteam ein, das an verschiedenen Ladestationen Orten zum Einsatz kommt. Bild: Gustav-Adolf-Werk Württemberg

Wie lange dauert die Vorbereitung, wie lange die Fahrt?

Ulrich Hirsch: Die Vorbereitung benötigt je nach Bedarf, Umfang und Ladeorten zwei bis fünf Wochen. In einem Fall habe ich erst fünf Tage vor der Abholzeit von 14 Betten für Tschechien davon erfahren und musste einen Spediteur, ein Helferteam und einen „Abnehmer“ bei unseren Partnern in Osteuropa finden. Es gelang relativ schnell, weil ich inzwischen das Netz unserer GAW-Partner – auch durch meine 17jährige Tätigkeit als Geschäftsführer – sehr gut kenne und immer noch pflege.

Die Fahrtdauer ist abhängig vom Ziel und den Straßen- bzw. Verkehrsverhältnissen.

Ein Beispiel für den Ablauf: Am 1. Februar waren wir um 15:30 Uhr mit dem Beladen fertig. Nach langer Fahrt und den vorgeschriebenen Lenkzeitpausen konnte der Fahrer am 3. Februar ab 8:00 Uhr bei der ersten Station in Ungarn einen Teil abladen.

Am 4. Februar traf er am Vormittag an unserem Zentrallager für die Ukraine in Barabas/Ungarn, etwa 1 km vor der ukrainischen Grenze, ein. Dort werden alle Waren in kleine Sprinter umgeladen und über die Grenze ins ganze Land (Ukraine) gebracht.

Geräte zur Stromerzeugung werden mit einem Gabelstapler transportiert und aufgeladen. Bild: Gustav-Adolf-Werk Württemberg

Gibt es oder gab es während eines Transports schon mal besondere Probleme (Beladung, Grenze, Verständigung, etc.)?

Ulrich Hirsch: Bei der Beladung gilt es natürlich, das zulässige Nutzlastgewicht zu beachten – z.B. bei einer Ladung, die z.B. aus ca. drei bis fünf Tonnen Mineralwasser, 20 bis 30 Pflegebetten und aus Stromgeneratoren besteht. Allein eines dieser Betten wiegt 150 bis 300 kg. Im Dezember haben wir einen Großgenerator transportiert, der allein 1,5 Tonnen gewogen hat.

Bei einer Beladung in einer großen diakonischen Einrichtung in Stetten/Remstal hatte sich unser 40-Tonner beim Rangieren auf die vorgesehen Ladestelle so sehr zwischen Gebäuden, Bäumen, parkenden Autos und Mauern verhakt, dass es fast zwei Stunden gebraucht hat, ihn in Millimeterarbeit wieder freizubekommen. Das hat den durchgetakteten Lade- und Zeitplan völlig durcheinandergeworfen, und ich musste zwei Stationen bei dieser Fahrt streichen.

Im Frühjahr haben wir auch auf die Bitte unseres Partners drei Gabelstapler besorgt und aufgeladen.

An den Grenzen gibt es in der Regel für „humanitäre Hilfe“ keine Probleme. Ich stelle dem Fahrer in der Regel eine formlose Bestätigung in vier bis fünf Sprachen aus, aus der hervorgeht, dass die ganze Ladung ein Geschenk des GAW für die Menschen in der Ukraine ist.

Wie wird die Verteilung vor Ort organisiert?

Ulrich Hirsch: Die Verteilung vor Ort geschieht durch kenntnisreiche Partner:

Bei unserem Hauptpartner, Pfarrer Peter Szeghljánik, (Pfarrer der reformierten Kirche in Transkarpatien, Anm. d. Red.,) sorgt dieser für eine sichere und sachgerechte Verteilung dorthin, wo die Waren gebraucht werden. Er fährt auch öfter selbst vom Westen bis ganz in den Osten des Landes (4000 km).

Bei den Transporten, die wir für die Stadt Stuttgart organisiert haben, sorgt die jeweilige Partnerstadt, Brünn oder Lodz, für den Weitertransport in die Ukraine und für die dortige Verteilung durch ortskundige und autorisierte Partner.

Der nächste Transport, der auch auf Bitten der Stadt Stuttgart erfolgt, wird für deren neue Partnerstadt Khmelnytskyiim Moment für Anfang März vorbereitet. Der Transport wird dabei ebenfalls über den bereits bewährten Transportweg vorbereitet und geplant (Österreich-Ungarn-Staatsgrenze Ukraine / Barabas). Von dort weiter durch das Team unseres Partners Pfarrer Peter Szeghljánik, der auch die gewünschten und notwenigen Hilfsgüter, in diesem Falle 45 Generatoren und einige Tonnen Lebensmittel, zur Verteilerorganisation der ukrainischen Partnerstadt bringen wird.

Ich erbitte in der Regel bei jedem Transport Rückmeldung von der Ankunft und Bilder vom Abladen und Verteilen (auch zur Rückmeldung an die Spender), das funktioniert sehr gut.

Auch Losungsbücher waren Anfang Februar Teil der Ladung. Bild: Gustav-Adolf-Werk Württemberg

Wie reagieren die Menschen, die die Hilfsgüter erhalten?

Ulrich Hirsch: In der Regel sind die Menschen, die Hilfsgüter erhalten sehr dankbar und freuen sich:  Ein kleiner Junge, der ein Bobbycar bekam, nahm dieses sofort nach der Entladung des LKWs in Beschlag und fuhr los. Eine Schulklasse, die im Herbst Schulmaterial bekam, strahlte vor Freude.  

Auch die offiziellen Stellen, wie Bischof, Stadtverwaltung und Einrichtungen haben sich schon mehrfach bedankt.

Der Bischof der reformierten Kirche, Sandor zan Fabian, wollte mich bei der ÖRK- Vollversammlung unbedingt in Karlsruhe treffen, um sich bei mir zu bedanken.  

Neben der materiellen Hilfe ist Pfarrer Peter Szeghljánik auch das Gebet und die Fürbitte für die geschundenen Menschen sehr wichtig. Unser Transport am Jahrestag des Kriegsbeginns wird von einem Friedensgebet in drei Sprachen an jeder Ladestation begleitet.

Ulrich Hirsch

Gibt es besondere Erlebnisse, die Sie schildern möchten?

Ulrich Hirsch: Als ich unseren Partner, Pfarrer Peter Szeghljánik, gefragt habe, als er am 4. Advent 2022 mit übervollem Auto nach Osten fuhr, wer denn mit ihm fahren würde, sagte er, dass wegen der Gefährlichkeit niemand sonst mitfahre. Und auf nochmalige Nachfrage sagte er aus tiefem Glauben heraus: „Mein Heiland fährt mit.“

Etwas ganz Besonderes war die Aussaat von Mais und Kartoffeln aus Württemberg durch den Brackenheimer Landwirt Albrecht Döbler. Ende September erhielt ich ein Bild einer geflüchteten älteren Frau, die just dort Kartoffeln erntete, wo Döbler sie gesteckt hatte.

Wir durften jetzt mit Hilfe und auf Bitte der Herrnhuter in Bad Boll 2000 Losungsbücher in ukrainischer Sprache in die Ukraine zur Verteilung transportieren. Eine weitere Lieferung von nochmal 2000 Büchern wird am 24 Februar in Sachsenheim verladen.

Bild: Gustav-Adolf-Werk Württemberg

Hintergrund zur Hilfe durch das Gustav-Adolf-Werk:

Das GAW, das Diasporawerk der württembergischen Landeskirche, hält zu den evangelischen Kirchen in der Ukraine und den Nachbarländern Kontakt und leistet finanzielle Hilfe. Von März bis Dezember 2022 wurden insgesamt zwölf 40-Tonner mit notwendigen Hilfsgütern allein für die Ukraine beladen wurden. Hinzu kamen sechs Transporte nach Tschechien, Slowakei, Polen, Kroatien und Rumänien. Den Wert der Hilfsgüter, einschließlich aller Sachspenden für die Ukraine beziffert Ulrich Hirsch, langjähriger Geschäftsführer des GAW, auf 767.000 Euro.  Die Transporte enthielten unter anderem 45 Stromgeneratoren unterschiedlicher Größe, je 10 Tonnen Saatkartoffeln und Saatmais, 50 Tonnen haltbare Lebensmittel, Mineralwasser etc. Mehr als 320 Ehrenamtliche halfen bei der Arbeit, sie beluden allein in 1.800 Stunden die LKWs. Für die 18 Transporte wurden über 38.000 km gefahren. Der erste Transport in 2023 fuhr Anfang Februar (Gesamtwert der Waren: 75.000 Euro), der zweite in der vierten Februarwoche zum Jahrestag der russischen Invasion.                                                                                              


Die Diakonie Katastrophenhilfe greift bei ihrer Hilfe auf bewährte Strukturen in der Ukraine und den Nachbarländern zurück. Bild: Siegfried Modola / Diakonie Katastrophenhilfe

Hilfe der Diakonie Katastrophenhilfe

Ebenso wie das GAW unterstützt die Diakonie Katastrophenhilfe die Menschen, die vom Krieg betroffen sind. Sie hat sich mit Beginn des Krieges ganz auf die Hilfe vor Ort konzentriert, die sie zusammen mit lokalen Partnern organisiert. Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, fasst nach einem Jahr zusammen: „In nur wenigen Wochen etablierten wir eine kontinuierliche Hilfslinie aus Lkw Konvois in die Ukraine, mit der wir Lebensmittel und Hygiene Artikel für Erwachsene und Kinder bereitstellen konnten. Partnerorganisationen mit vielen Jahren Erfahrung sorgten dafür, dass Hilfsgüter in alle Landesteile gebracht wurden, um Menschen in
Not zu helfen. In den Nachbarländern der Ukraine konnten wir schnell über unser eigenes Partnernetzwerk und das internationale kirchliche Netzwerk der ACT Alliance helfen. Sie waren von der ersten Minute da, um Unterkünfte für Geflüchtete herzurichten oder psychosoziale Hilfe anzubieten, damit die Menschen traumatische Kriegserlebnisse schneller
überwinden können.“

Im Auslieferungslager der lokalen Hilfsorganisation Vostok SOS, einem der Partner der Diakonie Katastrophenhilfe in der Ukraine, werden die Hilfsgüter in kleinere Pakete umgepackt. Bild: Christoph Püschner / Diakonie Katastrophenhilfe

Mehr als 600.000 Menschen wurden bisher erreicht. Betroffene des Krieges erhalten unter anderem Geldleistungen und Gutscheine, psychosoziale Unterstützung oder Hilfsgüter wie Nahrungsmittel oder Hygieneartikel.