Zwischen den Zeilen lesen

Drei Tage in der Woche sitzt der Pensionär Wallat für jeweils sechs bis sieben Stunden in seinem Büro am Speyerer Domplatz über den Papieren. „Da ist man abends schon geschlaucht“, sagt er. Das sogenannte „Teilprojekt E“ schreibt den Landeskirchen zum einen vor, die Disziplinarakten aller Pfarrpersonen seit 1946 auf Hinweise von sexualisierter Gewalt durchzusehen. Zum zweiten müssen alle in der jeweiligen Landeskirche bisher bekannten Missbrauchsfälle in allen zugänglichen Akten nachgesehen werden. Auch privatrechtliche Verträge, bei denen die Kirchengemeinde der Aussteller ist, etwa im Fall von Kindertagesstätten, gehören dazu.

Der Grund, dass er sich für das schwierige Thema interessiert und die befristete Stelle übernahm, liegt vor allem an Wallats Berufsleben. 45 Jahre lang war er Kriminalkommissar, „mit Leib und Seele“, wie er sagt. Zuletzt war er für Tötungsdelikte zuständig. Sexuelle Gewalt spielte in den letzten Jahren bis zu seiner Pensionierung eine immer stärkere Rolle, erzählt er. „Stalking“ wurde ein Tatbestand, Beratungsstellen für Gewalt gegen Frauen und Männer entstanden, dazu kamen Kinder-Interventionsstellen und die Kinderschutzdienste in Rheinland-Pfalz.

„Herr Wallat ist ein Glücksfall für uns“, sagt Oberkirchenrätin Bettina Wilhelm, die Missbrauchsbeauftragte der pfälzischen Landeskirche. So müssten Begrifflichkeiten nicht erst geklärt werden, da er das Thema zur Genüge kenne. „Ich versuche, zwischen den Zeilen zu lesen“, sagt Wallat. Denn nicht immer sei gerade in älteren Akten das Thema Missbrauch so klar benannt worden. Aus Datenschutzgründen werden aus den Namen der Verdächtigten und der Opfer Fallnummern.

Vier Fälle, die der Landeskirche nicht bekannt waren, hat Wallat bisher ans Licht gebracht. „Die Beschuldigten sind alle tot“, sagt Oberkirchenrätin Wilhelm. Teilweise seien die Namen der Opfer unbekannt. Insgesamt seien der Unabhängigen Aufarbeitungskommission der Landeskirche bisher neun Missbrauchsfälle bekannt, sagt Wilhelm. Von 1947 bis 2022 seien es im ganzen 43 Verdachtsfälle, denen nachgegangen wurde: von verbalen Entgleisungen bis zur mehrfachen Vergewaltigung. „Nicht alle haben sich bestätigt.“

Allerdings ist nicht alles, was passiert ist, auch tatsächlich in den Akten zu finden. Nach Personalaktenrecht der Landeskirche müssen negative Vorkommnisse nach einer gewissen Zeit aus den Personalakten entfernt werden – wie bei staatlichen Institutionen auch, sagt Wilhelm. Wenn allerdings ein Disziplinarverfahren geführt wurde, sind die Disziplinarakten im Archiv vorhanden.

Oberkirchenrätin Wilhelm sieht die Studie vor allem als Möglichkeit der Prävention. Es gehe darum, Lehren zu ziehen aus der Information, wie die Kirche mit solchen Fällen umging. „Wir wollen verhindern, dass das wieder passiert.“

Quelle: Evangelische Kirche in Deutschland: Nachrichten ( https://www.ekd.de/rss/editorials.xml?)
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