Gedanken zum Osterfest

Für Dietrich Bonhoeffer war das erwartete Ende sehr konkret, es war unausweichlich, und es war bald. Nachdem er standrechtlich zum Tode verurteilt worden war, wurde er am Morgen des 9. April 1945 im KZ Flossenbürg von einem SS-Mann aus der Zelle kommandiert und starb einen langen qualvollen Tod am Galgen. „Für mich das Ende, aber auch der Anfang“: Diese österliche Gewissheit ist alles andere als Flucht vor der Wirklichkeit in ein Jenseits; sie ist kein frömmlerisches Ausweichmanöver vor dem Unausweichlichen. Sie ist für ihn auch nicht „die Lösung des Todesproblems“. Der gelebte Glaube an die Auferstehung von den Toten treibt Bonhoeffer immer wieder mitten hinein in die fürchterlichen und furchterregenden Realitäten. Aus dem sicheren Ausland kehrt er nach Nazi-Deutschland zurück. Er schreit für die Juden. Er begibt sich in den Kreis der Widerständler des 20. Juli und arbeitet mit daran, Hitler zu töten. Er denkt in der Gestapo-Haft weiter theologisch darüber nach, was es bedeutet, in bösester Zeit wahrhaftig zu sein, also im buchstäblichen Sinn wahrzunehmen, was der Glaube hier und jetzt fordert. Und er betet. Sein Ziel ist nicht, zu überleben. Sein Ziel ist auch nicht, Märtyrer zu werden. Dietrich Bonhoeffer will , was schlicht klingt und doch hoch anspruchsvoll ist: mitten in den aktuellen Aufgaben und Fragen, mitten in quälenden Ängsten und Zweifeln aufrichtig als Christ leben. In diesem Sinn ist für ihn jeder Tag und nicht erst sein letztes Stündlein ein Anfang.

Ich erzähle das nicht nur Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ich erzähle es auch mir selbst in diesen Tagen. Die Versuchung liegt so nah, es mit dem Glauben sein zu lassen. Ich rede nicht von dem Katechismus-Glauben, der sich in Bekenntnisformeln ausdrückt. Ich rede vom Glauben als einer Haltung des Vertrauens und einer hoffnungsvollen Lebenspraxis, die sich nicht von den Todesmächten beherrschen lassen. Solch ein Glaube geht weit hinaus über meine persönliche Hoffnung auf ein Leben nach dem eigenen Tod. Der Osterglaube ist schon in seinem Uranfang eine durch und durch politische Angelegenheit gewesen. Wie sollte das anders sein? Wer im Herzen glaubt und laut verkündet: „Christus ist auferstanden!“, streckt damit der politischen Macht, die Jesus als Aufständischen hingerichtet hat, die Zunge heraus. Er oder sie riskiert mit dieser Überzeugung das eigene Leben.

In rechtsstaatlichen Demokratien, im Deutschland des Jahres 2023, ist der Osterglaube beileibe nicht lebensgefährlich. Die Religionsfreiheit ist eine Frucht der Aufklärung, die Christen sehr dankbar genießen können. Aber das „Christus ist auferstanden“ ist deshalb gerade nicht billig und darf auch nicht so gehandelt werden. Es ist der Ruf, sich heute gegen die Mächte des Todes zu erheben und das Notwendige zu tun. Und weil in den vielfachen gegenwärtigen Krisen alles mit allem zusammenhängt, die Kriege mit dem Klima und das Klima mit der Armut und die Armut mit der Flucht und die Flucht mit den Kriegen und Corona mit allem, heißt das: allem Endzeitgefühl zum Trotz heute anfangen und morgen wieder anfangen und übermorgen auch.

„Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen“, hat Dietrich Bonhoeffer geschrieben. Und weiter: „In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Er hatte 1943 wenig Anlass, das zu glauben. Weniger vielleicht als wir 2023. Es dennoch zu wagen, das ist Ostern.

Erstveröffentlicht in „Mannheimer Morgen“

Quelle: Evangelische Kirche in Deutschland: Nachrichten ( https://www.ekd.de/rss/editorials.xml?)
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