Osterbrief der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus

Das Blau im Hinter-­ und Untergrund ist mehr als ein brodelndes Meer, es ist die ungebändigte Urflut. Die Feste zwischen den Wassern, die Gott am Anfang schuf, ist nicht mehr da. Das Wasser hat kein Oben und kein Unten, es umspült alles. Die Ruder des Bootes wackeln nutzlos am Rumpf. Das Segel flattert wild im Orkan. Einer der Jünger versucht es am Mast zu befestigen – vergeblich. Ihrer aller Augen starren angstverzerrt in den Himmel oder in die Tiefe, angesaugt vom drohenden Verderben. Der größte Schrecken aber ist: Das Boot selbst ist zum Ungeheuer geworden. Es schlägt mit der Schwanzflosse, es reißt sein Maul auf und stürzt seine Insassen in den Abgrund. Der Rahmen des Bildes kann den wütenden Drachen nur mühsam im Zaum halten.

Dramatischer lässt sich kaum ausmalen, dass alle Gewissheiten verloren sind. Sogar der letzte Schutzraum, das Boot, hat ein dämonisches Eigenleben entwickelt. Das einzige, was dir noch sicher schien, kehrt sich gegen dich. Heute spüren wir, wie die aus dem Rhythmus gebrachte Erde zunehmend zum Chaos wird. Ihre entfesselten Kräfte reißen Menschen in den Tod. Es gibt keine Sicherheit, keine einzige.

In der Mitte des Bildes eine Hand. Es ist die Hand eines Jüngers, die sich nach dem schlafenden Christus ausstreckt. Das ist die Geste, die Rettung bringt. Dieser Jünger kehrt als einziger den Blick um, lässt sich nicht bannen vom Unheil und vom drohenden Ab­grund, sondern wendet sich dem Retter zu. „Schert es dich nicht, dass wir umkommen?“ (Markus 4,38): So schreit es aus der Hand, voll zorniger Empörung darüber, dass der Retter die Rettung anscheinend verschläft. Was für ein atemberaubender theologischer Gedanke, gruselig und frech zugleich: Christus schläft, wenn die Not am größten ist. Und doch: Es ist eine Geschichte voller Hoffnung. Denkt nicht, Christus sei tot!
Er schläft mit seligem Vertrauen. In der Geschichte von der Sturmstillung verbirgt sich die tiefe österliche Erfahrung: Manchmal müssen wir den lebendigen Christus unsanft aufwecken, damit er aufersteht unter uns und sein Werk tut.

„Er stand auf“, heißt es dann, „und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme!“.

Ostern. Der Auferstandene bändigt die Gewalten durch sein Wort. Wie auch sonst? Die scheinbar unbeherrschbaren Mächte sind mit dem Wort erreichbar. Das ist eine österliche Einsicht gegen das hoffnungslose Mythologisieren und Dämonisieren von Menschen und Mächten.

Machen wir es wie der Jünger im Boot, liebe Brüder und Schwestern. Lassen wir uns nicht vom Unheil bannen! Rütteln und schütteln wir Christus, mit Gebeten, mit Worten und mit Taten. Lassen wir nicht ab, bis er aufwacht. Denn:

Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!
 

Dr. h. c. Annette Kurschus
Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland

Quelle: Evangelische Kirche in Deutschland: Nachrichten ( https://www.ekd.de/rss/editorials.xml?)
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