20.06.2021 „Für den Glauben die Heimat verlassen“

Naser Nadimi flüchtete aus dem Iran, jetzt ist er in Tübingen im Kirchengemeinderat

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. Aus diesem Anlass erzählt Naser Nadimi, Kirchengemeinderat in Tübingen, im Interview von seiner Flucht aus dem Iran, 2016 zog er mit seiner Frau und seinem Sohn in eine Wohnung der Tübinger Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde, 2020 wurde er dort auch in den Kirchengemeinderat gewählt. Im Interview erzählt er von seinem Leben als Christ im Iran, seiner Flucht und dem neuen Leben in Deutschland.

Naser Nadimi lebte als Christ im Iran, musste aber 2015 von dort fliehen. Mittlerweile ist er in Deutschland angekommen und engagiert sich im Kirchengemeinderat. Privat

Wie ist es, Kirchengemeinderat zu sein?

Naser Nadimi: Durch das Amt bin ich viel stärker als vorher in die Gemeinde hineingekommen. Mir gefällt die freundliche Atmosphäre. Dass ich als Ausländer im Kirchengemeinderat mitarbeiten kann, fühlt sich sehr gut an. Ich mache auch mit bei der Mesnervertretung. Die größte Freude ist es für mich, als Kirchengemeinderat im Gottesdienst aus der Bibel vorzulesen – öffentlich. Das ist wie ein Wunder, wie eine große Befreiung.

Befreiung wovon?

Naser Nadimi: Im Iran konnten wir unseren Glauben nur heimlich leben. Eine Bibel zu besitzen war extrem gefährlich, wir hatten immer nur einzelne Blätter mit Kopien von Bibeltexten in unserer Hauskirche. Ich bin in eine Polizeikontrolle geraten, nachdem ich auf dem Schwarzmarkt in einer anderen Stadt zwei Bibeln gekauft hatte. Ich wurde sofort ins Gefängnis gebracht, dort übel behandelt. Sie haben mir unter anderem meinen Arm gebrochen. Ich kam nur aus dem Gefängnis heraus, weil mein Bruder mir geholfen hat und weil ich mein Haus als Pfand gegeben habe. Mir war klar, jetzt habe ich maximal 50 Tage Zeit, das Land zu verlassen, bevor sie mich zu einem Verfahren vorladen.

Da blieb nur die Entscheidung zu fliehen.

Naser Nadimi: Genau. Am 15. Dezember 2015 sind wir geflohen. Meine damalige Frau und ich mit unserem damals neunjährigen Sohn. Bis in die Türkei ging es einigermaßen. Von der Türkei nach Griechenland zu kommen war entsetzlich. Drei schlimme Versuche. Und beim dritten Versuch sind wir in einem überfüllten Schlauchboot fast ertrunken. Wir hatten schon unsere Rucksäcke über Bord geworfen und schöpften das Wasser raus. Viele Frauen und Kinder, auch mein Sohn, konnten nicht schwimmen. Wir waren 67 Personen in dem Boot. Alle schrien in Todesangst. Ich auch. Ich schrie zu Jesus Christus. „Deinetwegen erleiden wir das. Hilf uns!“ Da klingelte mein Telefon. Ich weiß bis heute nicht, wer das war, jemand aus dem Iran. Ich sagte ihm: Wir sterben. Doch er schickte mir die Telefonnummer von der griechischen Küstenwache. Die rief ich an, wir wurden geortet. 50 Minuten später kam ein Schiff – im letzten Moment! – und nahm uns auf. Ich sage: Jesus hat wirklich geholfen.

Seit wann sind Sie in Tübingen?

Naser Nadimi: Im November 2016 kamen wir in eine Wohnung in der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde. Die Gemeinde hat uns sehr geholfen. Pfarrerin Angelika Volkmann hat uns getauft. Sie sagte, eure Rettung aus dem Mittelmeer war schon wie eine Taufe. Mein Sohn ist jetzt Konfirmand.

Was sagen Sie den Gemeinden hier in Tübingen?

Naser Nadimi: Die Gemeinden hier finde ich sehr freundlich, gastfreundlich. Alle kennen sich und man weiß, wenn jemand Hilfe braucht. Ich freue mich, dass wir gleich zu einer christlichen Gemeinde gekommen sind. Meine Geschichte in Deutschland gehört mit der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde zusammen. Ich bin sehr dankbar für die Glaubensfreiheit hier. Manchmal denke ich: Viele Leute wissen nicht, wie wertvoll das ist. In meiner Heimat hatte ich keine Freiheit. Ich musste für meinen Glauben meine Heimat verlassen. Das war ein großes Opfer. Ich habe viel verloren und muss damit klarkommen. Ich kann nur sagen: Seid dankbar!

Die Fragen stellte Pfarrerin Angelika Volkmann.

Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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