„An alle gewiesen“ – auch bei Stuttgart 21

Koch meint…

Wer austeilt, muss auch einstecken können. Kein Problem also, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen gegen Stuttgart 21, mir nun kräftig den Kopf waschen! Was in diesen heißen Sommertagen ja durchaus wohltuende Wirkung haben kann, vor allem aber die Klarheit der eigenen Gedanken fördert. Insofern danke für alle konstruktive Kritik! Ich werde sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Den mir servierten Goethe’schen Quark dagegen gebe ich zurück und sage: Quark war es, ist es und bleibt es, wenn behauptet wird, Stuttgart 21 würde jegliche demokratische Legitimation fehlen. Guten Appetit!

Nun aber im Ernst und ohne Häme ein paar mir im diesem Zusammenhang noch wichtige Dinge. Zum einen: Ja, ich bin für die SPD politisch aktiv. Was dem einen oder anderen plötzlich als Totschlagargument gelegen kommt. Nicht so den Bürgerinnen und Bürgern von Esslingen. Die seit beinahe zwei Jahrzehnten offensichtlich gerne einen Pfarrer die Geschicke ihrer Stadt mitbestimmen lassen, aber das wohl vor allem deshalb, weil er beides von einander zu trennen weiß: Beruf und Ehrenamt. Und beides doch wiederum auch im Zusammenhang sieht und sich dementsprechend allen und nicht nur seiner eigenen Partei verpflichtet fühlt. Rote Socken jedenfalls trage ich keine und schon gar nicht, wenn ich hier über Stuttgart 21 rede und schreibe.

Zum anderen: Was „Koch meint“, meint er als Rundfunkpfarrer, wenn auch „off air“. Deshalb finden sich auf dieser Seite auch keine Argumente pro oder contra Stuttgart 21. Dazu äußere ich mich nur als politisch engagierte Privatperson, aber keinesfalls dienstlich. Sehr wohl aber ist es mir ein berufliches Anliegen, auf Art und Stil der Diskussion um Stuttgart 21 Einfluss zu nehmen und mein Teil zur Friedlichkeit der Auseinandersetzung beizutragen. Ob das stets gelingt, sei dahingestellt. Ziel aller Beiträge hier ist es jedenfalls, einen zweiten „Schwarzen Donnerstag“ oder ähnliches zu verhindern.

Und damit zum Dritten: Wer so wie ich diese Unterscheidung von quasi offiziell kundgetaner und persönlicher Meinung für als im Pfarrersberuf unabdingbar hält, muss mit Ihrer Vorgehensweise, liebe Kolleginnen und Kollegen gegen Stuttgart 21, Schwierigkeiten haben. Weil Sie genau das nicht tun, sondern beispielsweise Ihren Offenen Brief an die SPD-Ministerinnen und -Minister in der baden-württembergischen Landesregierung als Mitglieder der Initiative „Pfarrer/innen gegen Stuttgart 21“ unterzeichnen. Um den Hintergrund, vor dem Sie argumentieren, deutlich zu machen, sagen Sie. Ich sage: Ob Sie wollen oder nicht, werden viele unserer gemeinsamen „Schäfchen“ das tatsächlich so verstehen, als ob Christen im Allgemeinen und Pfarrer im Besonderen Ihrer Meinung nach nur diese und keine andere Auffassung vertreten könnten. Anders wäre ja auch gar nicht zu erklären, warum in der Sache Andersdenkende – übrigens hinüber wie herüber – meinen, einen Kirchenaustritt in Erwägung ziehen zu sollen.

Ein Letztes: Das regt Sie offenbar kolossal auf, wenn ich von Stuttgart 21 als einem reinen Bahnhofsprojekt rede. Also ist es für Sie etwas anderes. Etwas Umfassenderes? Etwas Höheres? Vielleicht doch so etwas wie eine Bekenntnisfrage? Was mir vor allem aus einem Grund schwer missfällt: weil der Protest gegen Stuttgart 21 damit plötzlich eine hochmoralische Dimension bekommt, dabei Gefahr läuft, sich als „Widerstand“ misszuverstehen, sich von gesellschaftlichen Spielregeln entbunden sieht und im Vorbeigehen dann auch noch Gott auf die eigene Seite zu ziehen versucht. „Stuttgart 21 gleich Babel 21“ – so etwas sollte ein Pfarrer weder denken noch sagen.

Ich schließe ganz prosaisch und zitiere aus dem württembergischen Pfarrergesetz: „Der Pfarrer hat durch seinen Dienst wie auch als Bürger Anteil am öffentlichen Leben. Er hat erkennen zu lassen, dass ihn sein Auftrag an alle Gemeindeglieder weist und mit der ganzen Kirche verbindet.“ (§ 20, Abs. 1) Weil ich dieses „an alle“ bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht gewährleistet sehe, habe ich an Ihnen Kritik geübt. Ich erlaube mir, bei meiner Meinung zu bleiben. Wobei es Meinungen ja so an sich haben, dass man auch anderer Meinung sein kann.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?

Zur Quelle

Schreibe einen Kommentar