Klarheit und gute Nachbarschaft

Koch meint…

Die Frau hat mich auf dem Wochenmarkt angesprochen und es dabei erst nach einem Augenblick des Zögerns über die Lippen gebracht: „Gestern Abend war ich stolz, evangelisch zu sein.“ Ich übrigens auch. Wobei mit „gestern Abend“ der Esslinger Schwörtag am vergangenen Freitag gemeint gewesen ist. Der für Protestanten an sich untypische Stolz auf die eigene Konfession aber hatte mit dem Schwörtagsredner zu tun: Bischof i. R. Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sein Thema: „Verschieden und doch gleich. Aufgaben einer Integrationsgesellschaft.“

Was ja eigentlich ein sperriges Thema ist und in der Regel ziemlich verbissen diskutiert zu werden pflegt. Nicht so bei Huber. Im Gegenteil: Humorvoll, seine Worte, wo immer es geht, in ein Lächeln kleidend und mit einer unglaublichen rhetorischen Brillanz macht er nachgerade Lust darauf, sich den Herausforderungen einer pluralistischen Gesellschaft zu stellen. Und lässt es gleichzeitig an Deutlichkeit nicht fehlen. Zum Beispiel: „Nur wer einen eigenen Standpunkt hat, kann die Standpunkte anderer respektieren.“ Oder auch so ausgedrückt: „Allein über Klarheit kommen wir zu einer guten Nachbarschaft.“ Weichgespültes Multikulti hört sich anders an.

Klarheit auch in anderer Hinsicht: Jeder Mensch hat dieselbe Würde. Auch ist er mehr als das, was er glaubt. Man darf ihn deshalb nicht auf seine Religion reduzieren. Rassismus und Gewalt sind tabu, und zwar auf beiden Seiten. Und: Wer in Deutschland Freiheitsrechte in Anspruch nimmt, muss sich selbstverständlich fragen lassen, wie es damit beispielsweise im Iran oder in der Türkei bestellt ist. Hubers traurige Bilanz an diesem Punkt: Es sind weltweit hauptsächlich Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden.

Warum aber haben viele Deutsche Angst vor anderen Kulturen und Religionen? Na klar, weil sie eine Überfremdung fürchten. Nur dass diese – hier erreicht Hubers Rede ihren Höhepunkt – nichts mit einer angeblichen „Überalterung“ unserer Gesellschaft – „ein Unwort!“ –, sondern mit ihrer „Unterjüngung“ zu tun hat. Später, bei Maultaschen mit Kartoffelsalat und ein paar Viertele Württemberger, sagt Huber, dass dieser Begriff vom sächsischen Landesbischof Jochen Bohl stammt. So oder so aber ist klar, was gemeint ist: Nicht daran, dass die Deutschen immer älter werden, liegt das Problem, sondern dass sie im Vergleich zu anderen immer weniger Kinder bekommen. Ergo: „Erst wenn ein Personalchef zu einer schwanger gewordenen Mitarbeiterin nicht mehr sagt: ‚Das kommt jetzt aber arg ungeschickt!’, sondern sie zu ihrer Schwangerschaft beglückwünscht, werden wir Fortschritte in dieser Richtung machen.“ Oder auch hier mit anderen Worten ausgedrückt: „Wir können nicht andere für Probleme, an denen wir selber schuldig sind, verantwortlich machen.“

Wie gesagt, was die Frau im Blick auf „gestern Abend“ erst nach einem Augenblick des Zögerns über die Lippen gebracht hat, ist auch mir aus dem Herzen gesprochen gewesen: „Ich war stolz, evangelisch zu sein.“ Und bin es auch heute noch. Weil ich selten zuvor ein an sich sperriges Thema wie die Integration so behandelt gesehen und gehört habe: mit Klarheit, entschieden christlichem Profil und der unverrückbaren Überzeugung, dass Menschen verschieden und gleichzeitig doch alle gleich, besser gleichwertig sind.

Bei besagten Maultaschen mit Kartoffelsalat und ein paar Viertele Württemberger hat sich übrigens noch etwas anderes gezeigt: dass Bischof i. R. Wolfgang Huber ein nicht nur hochintelligenter, sondern auch ganz und gar unprätentiöser Mensch ist. In Esslingen jedenfalls sind ihm die Herzen der Schwörtagsbesucher zugeflogen. Schade nur, dass er altersbedingt nicht mehr sein kann, was er einmal war: der Mann, der auch von Amts wegen Deutschlands Protestanten stolz sein lässt!

Auf Klarheit und gute Nachbarschaft!

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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