Koch meint…
Also jetzt mache ich es einfach mal ganz persönlich, nehme nach meinem Urlaub kein Blatt vor den Mund und sage es frei heraus: Liebe Pfarrerskolleginnen und -kollegen contra Stuttgart 21, Sie gehen mir auf den Geist! Und das nicht etwa, weil wir in der Sache selber unterschiedlicher Meinung sind. Was mich stört, ist vielmehr die Attitüde, mit der Sie Ihre Überzeugung zum Ausdruck bringen. Denn außer Ihnen und anderen S 21-Gegnern hat ja scheinbar niemand recht. Und es ist das Etikett, mit dem Sie Ihre Äußerungen versehen: „Pfarrer/innen gegen Stuttgart 21“ bzw. „Christen sagen NEIN“. Da läuft es mir kalt den Rücken runter.
Aktuelle Zielscheibe Ihrer Angriffe ist nun die SPD. Deren Ministerinnen und Minister in der baden-württembergischen Landesregierung gehen Sie in einem Offenen Brief frontal an. Wobei ich Ihnen auch in diesem Zusammenhang nicht das Recht absprechen will, die Dinge so zu sehen, wie Sie glauben, Sie sehen zu müssen. Allerdings sind hier wie sonst Behauptungen noch lange kein Beweis. Ebenso unzulässig wie in meinen Augen erschreckend ist dann aber auf jeden Fall Ihr Fazit. Auf einen kurzen Nenner gebracht sieht dieses so aus: Namentlich die sozialdemokratischen Minister Reinhold Gall, Nils Schmid und Rainer Stickelberger verstoßen gegen ihren Amtseid, der sie dazu verpflichtet, Schaden vom Land abzuwenden. Sie setzen damit die Glaubwürdigkeit der SPD aufs Spiel. Aber der würde es ja sowieso nur noch darum gehen, sich der CDU als künftiger Koalitionspartner anzudienen und bei der konservativen Wirtschaft Eindruck zu schinden, um Spenden zu bekommen. Ergo sei die SPD insgesamt dabei, sich vollends unmöglich zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht, dass ich mich in den vielen Jahren meiner kommunalpolitischen Tätigkeit im Blick auf Andersdenkende jemals zu solchen Aussagen habe hinreißen lassen. Vor allem aber habe ich es definitiv nie unter dem Deckmantel meines christlichen Glaubens und quasi ex officio als Pfarrer getan. Weil es mir so wenig wie Ihnen als Pfarrerin oder Pfarrer zusteht, über anderer Menschen Glaubwürdigkeit zu urteilen und de facto über sie zu richten. Denn ob Sie wollen oder nicht: Indem Sie Ihre Meinung auf diese Weise absolut setzen und mit dem Heiligenschein eines kirchlichen Amts verbrämen, erwecken Sie den Eindruck, als ob Christen im Allgemeinen und Pfarrer im Besonderen nur Ihre und keine andere Auffassung vertreten könnten. Und ergo ist kein Christ, wer es anders sieht. Was zumindest für mich so unerträglich ist wie umgekehrt das Verhalten jenes Kollegen, der als Befürworter von Stuttgart 21 ebenfalls keine verbalen und keine Grenzen seines Pfarrersamts zu kennen scheint.
Und noch etwas und zum wiederholten Mal durchaus zugespitzt gefragt: Ist Stuttgart 21 tatsächlich eine Glaubens- oder gar Bekenntnisfrage und nicht doch bloß ein umstrittenes Bahnhofsprojekt? In meinen Augen ist es letzteres und deshalb nicht dazu geeignet, vermeintlich gute von vermeintlich weniger guten Christen zu scheiden. Was, glaube ich, ohnehin nicht unsere Aufgabe ist.
Zum Schluss: Ich lasse Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen gegen Stuttgart 21, Ihre Meinung. Aber lassen Sie bitte auch mir die meine und anderen die ihre! Und lassen Sie uns miteinander zu einer guten demokratischen Streitkultur beitragen! Streiten aber kann man nur auf Augenhöhe. Vor allem die falschen Etiketten und deplatzierten Titel müssen deshalb weg! Um des lieben Friedens willen. Und weil, wie gesagt, Stuttgart 21 keine Bekenntnisfrage ist.
Das meint Koch. Und was meinen Sie?
Der erwähnte „Offene Brief an die SPD-MinisterInnen der baden-württembergischen Landesregierung“ steht bei www.s21-christen-sagen-nein.org.