19.05.2022 Das Kirchenlied in Krisenzeiten

Martin Luthers „Eine feste Burg ist unser Gott“ in: Geistliche Lieder aufs Neue gebessert zu Wittenberg gedruckt von Joseph Klug 1533.Foto: Public Domain

Nun ist unsere evangelische Kirche aus Krisen entstanden. Ein ganzes Konglomerat von Krisen führte zur Reformation. Ich nenne zwei: die Krise rund um eine römisch-katholische Kirche, die vollkommen den Bezug zum Gott der Bibel verloren hatte, und: Luthers Lebenskrise: Wie finde ich einen gnädigen Gott? Ohne Krisendruck, kein reformatorischer Durchbruch! Dass Luther am Druck nicht zerbrochen ist und nicht resigniert hat – also für seine Resilienz –, dafür nennt er zwei Gründe: die Theologie und die Musik. An manchen Stellen in Luthers Schriften wird deutlich, dass es noch eine dritte Kraft gibt, die Luther die Krisen überstehen ließ: Luthers „Herr Käthe“, seine Frau Katharina von Bora. Also neben Musik und Theologie als dritte Krisenkraft die Liebe und Freundschaft in Familie und verlässlichen Beziehungen.

Doch zuerst die Theologie – das heißt für Luther: die Bibel und ihre Auslegung. Als zweites die Musik, die wie Luther sagt, die Herrin ist und Lenkerin der menschlichen Affekte:

„Denn wenn du die Traurigen aufrichten (…) die Hochmütigen brechen, die Liebenden beruhigen, die Hassenden mäßigen willst (…) – was findest du dafür Wirksameres als eben die Musik? Selbst der Heilige Geist ehrt sie als Organ seines eigenen Wirkens. (…) Durch die Musik wird der Satan ausgetrieben. (…) Daher haben die heiligen Väter und die Propheten nicht umsonst dem Wort Gottes nichts näher sein lassen wollen als die Musik. Daher nämlich kommen so viele Gesänge und Psalmen, in denen das Wort und die Stimme im Herzen des Hörers gemeinsam wirken.“

Ich staune, wie differenziert Luther hier die Wirkung von Liedern beschreibt. Musik und Wort gemeinsam bewirken, dass im Herzen Ängste, Verzweiflung, Übermut und Hass beruhigt werden. Dass die aufgewühlte unruhige Seele wieder zu sich findet. Zu Gott. Zum Frieden. Das Wort gemeinsam mit der Stimme: das biblische Wort gewinnt an Kraft, wenn es erklingt. Es wirkt stärker, wenn es gesungen wird: von einer Stimme oder gar von einem ganzen Chor, der singend einem Wort zustimmt und es der Seele bezeugt.

Als Luther 1538 diese Lied-Theologie aufschrieb, waren schon etliche seiner Lieder veröffentlicht und mehrere Gesangbücher mit seinen Vorreden zu einer Säule der Reformation geworden. Luther selbst hat in Krisen Lieder gebraucht. Sein persönlichstes Lied scheint mir „Nun freut euch lieben Christen g’mein“ (EG 341). Da besingt er seine eigne Krise:

Dem Teufel ich gefangen lag (Str. 2), die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb, zur Hölle musst ich sinken (Str. 3).

Und er besingt (ab Str. 4) die Erlösung der Welt: wie Gott seinen Sohn schickt um den Teufel zu fangen und die in Krisen und Nöten gebundenen Menschen zu befreien. Was macht hier Luther? Er ruft biblische Heilsgeschichte in Erinnerung und bezieht sie auf die aktuelle Notlage.

Herausragend die beiden Psalmlieder Luthers: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (299) – Psalm 130 weitgehend textgetreu in Liedform. Und: „Ein feste Burg ist unser Gott“ (362) – eine freie Predigt in Liedform zu Psalm 46. Beide Psalmen sind Krisenpsalmen, gebetet aus tiefer Not und aus großen Nöten, die uns getroffen haben. Krisenlieder sind auch „Verleih uns Frieden gnädiglich“, (21) und „Erhalt uns Herr, bei deinem Wort“ (193). Die Türken standen 1543 wieder vor Wien. In Wittenberg ging das Gerücht um, der Papst hätte dem Sultan ein Bündnis zur Auslöschung des deutschen Protestantismus angeboten. Da schrieb Luther diese Liedzeilen:

Erhalt uns Herr bei deinem Wort / und steur des Papst und Türken Mord, die Jesum Christum, deinen Sohn, / wollen stürzen von seinem Thron.

„Aus tiefer Not schrei ich zu dir“

Steuern meint hier nicht lenken, sondern ein Ende machen, stoppen. Luther schöpft seine Worte wieder aus Psalm 46: Kommet her und schauet die Werke des HERRN, der den Kriegen steuert in aller Welt, den Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. Seid stille und erkennet, daß ich GOTT bin (V 10f).

In Luthers Liedern können wir folgende Resilienzfaktoren sehen:  (1) das Wort Gottes: also die Erinnerung an Gottes rettendes Handeln in der Vergangenheit, (2) die Musik, (3) die vertiefte Wirkung, wenn in Liedern zum Wort Musik und menschliche Stimmen kommen, (4) eine verlässliche Gemeinschaft in Ehe, Familie, Gemeinde, Freundschaften, und (5) die Kraft des Gebetes: dass wir auch als Klagende mit Gott im Gespräch blieben.

Quelle: Evangelische Landeskirche Württemberg ( https://www.elk-wue.de/index.php?type=13)
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