Der alte Mann von der Hafenbar

Koch meint…

Letzten Sonntag bin ich am Flughafen gewesen. Einfach so – Plane Watching zum Fernwehstillen! Beobachtet habe ich dann aber etwas ganz anderes, nämlich den alten Mann von der Hafenbar. Wie das Bistro auf der Besucherterrasse heißt. Da hat er an einem der Tische unter freiem Himmel gesessen. Vor sich ein Glas Wasser und vieles mehr: Rauchutensilien verstreut; Bleistifte en masse; eine dicke alte Kladde mit zerfledderten Tabellen; und mittendrin ein Fernglas von beträchtlicher Größe und wohl von ebensolchem Gewicht.

Wie der Tisch, so der Mann: ein Stillleben für sich. Lange, ungepflegte Haare; Pullover und Hose haben schon bessere Tage gesehen; die Schuhe irreparabel. Allein der Teint – in diesem Fall ein unpassendes Wort, ich weiß – war airportlike: tiefbraun und wie am Strand auf Mallorca zugelegt. Wo der alte Mann aber sicher noch nie gewesen ist. Stattdessen ist er hier draußen zuhause – tagsüber in der Hafenbar auf der Besucherterrasse, abends und nachts: wer weiß.

Anstelle der Flugzeuge habe ich, wie gesagt, ihn beobachtet. Wie er da am Flughafen seiner selbst gewählten Profession nachgegangen ist und jede Maschine, ob startend oder landend, in seine Kladde eingetragen hat. Air Berlin nach Hurghada: verspätet! Condor aus Rhodos: on time! Lufthansa: Gott sei Dank grad nicht bestreikt! Wobei er seinen Augen wohl nicht mehr so ganz trauen kann. Jedenfalls in schöner Regelmäßigkeit der Griff zum Fernglas: alles in Ordnung! Und ja, die 757 ist und bleibt ein eleganter Vogel! Er legt das Fernglas zurück auf den Tisch.

Dass er so schreibt und so denkt, ist von mir natürlich nur vermutet. Weil ich ihm nicht über die Schulter schauen konnte und ihn dummerweise – warum eigentlich nicht? – nicht angesprochen habe. Der alte Mann hat übrigens immer mal wieder auch eine Pause gemacht. Weil ihm seine Pfeife ausgegangen war. Dann ist er leise fluchend in das Innere der Hafenbar hineingeschlurft, um in einer windgeschützten Ecke ein Streichholz und mit ihm seinen Tabak anzuzünden. Danach hat er seine unbezahlte Arbeit wieder aufgenommen – zufrieden und mit sich im Reinen, wie es schien.

Dieses Bild ist mir in den vergangenen Tagen geblieben und dient mir jetzt – zu nichts. Ich will es nur nicht für mich behalten. Weil es ja durchaus sein könnte, dass auch Sie einmal zum Flughafen gehen. Einfach so – Plane Watching zum Fernwehstillen! Der alte Mann von der Hafenbar ist sicher noch da. Beobachten Sie ihn! Vielleicht geht es Ihnen dann ja wie mir: dass Ihnen dieses Bild bleibt. Und wissen Sie was? Warum auch immer: Das Bild bleibt nicht nur – es tut sogar gut. Als wäre es ein kleines Gottesgeschenk. Und vielleicht, nein, ganz sicher ist es das ja auch.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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