Liebe Gemeinde,
waren Sie auch schon einmal in der Wüste? Vielleicht denken Sie jetzt an die Wüste Sahara oder die Wüste Gobi. Meine Frage richtet sich jedoch auf solche Wüsten, die wir Menschen manchmal in uns selbst spüren und durchleben müssen. Ich denke an Gefühle der Leere und Sinnlosigkeit, die uns manchmal überfallen, die alles sinnlos erscheinen lassen und wir für unser Leben kein Ziel mehr sehen.
Wer in einer solchen Wüste wandern muß, spürt die Einsamkeit seines Lebens oft sehr intensiv: Ich bin allein, weit und breit gibt es keinen Menschen, keine Oase, kein Wasser; ab und zu vielleicht einmal ein dürrer Strauch. Und die Sonne brennt mir unablässig auf den Kopf, verwirrt meine Sinne und Gedanken.
Wer solche Wüstenzeiten in seinem Leben kennt, der weiß auch, daß es manchmal scheinen mag, als nähmen sie kein Ende. Am Horizont ist nichts zu sehen, nur flimmernde Hitze und Dürre. Manchmal brauchen wir solche Wüstenzeiten, um neu hören und sehen zu lernen, was um uns vorgeht und unser Leben ausmacht. Dann kommen wir als veränderte Menschen aus unserer Wüste zurück. Auch Christen erleben solche Wüstenzeiten, gerade in ihrem Verhältnis zu Gott. Allein und durstig sind sie auf der Wanderschaft und suchen vergeblich nach der Quelle des Lebens. Ausgetrocknet sind alle Bäche.
Ich möchte ihnen heute die Geschichte eines Mannes erzählen, der eine solche Wüstenzeit in seinem Leben erlebt hat.
Ich sehe ihn, dort geht jemand, ein Mann. Müde scheint er zu sein, so wie er geht: gebeugt, langsam, fast schleppend. Und von weit her scheint er zu kommen. Ich frage mich: was ist mit ihm? Er sieht sich nicht um, sieht nichts. Er sieht nur seine Füße. Jetzt legt er sich nieder und er murmelt etwas: Habe ich ihn recht verstanden? Schlafen will er? Einschlafen und nicht mehr aufwachen? Ruhe will er?
Seht ihr ihn auch, wie er so liegt? Wüste – rundherum Wüste, Sand, glühende Hitze. Da, ein Dornstrauch, daneben liegt er. Wenig Schatten gibt er der Dornstrauch. Seht ihr ihn auch, wie er da liegt? Ein Krug Wasser und etwas Brot, ob ihm das jetzt etwas nützen würde?
Wer näher herangeht, der hört sie vielleicht, seine Worte. Sie klingen so wie: „Ja, ich liege … ich steh nicht mehr auf … die Hitze, der Durst … aber ich steh nicht mehr auf … ich will nicht mehr … schlafen will ich … Ruhe, wo keiner kommt … niemand mich weitertreibt … Ruhe …“
Er sagt es leise. Kein Zorn, kein Aufbegehren. Leise sagt er es. Er ist am Ende, am Ende seiner Kraft, am Ende seiner Hoffnung.
Ein Krug Wasser und etwas Brot, ob ihm das jetzt etwas nützen würde?
Und ihr fragt: Wer ist es? – Vielleicht wundert ihr euch. Es ist Elia, der große Prophet mit dem sicheren Auftreten. Der große Prophet, zu dem viele aufschauen, den viele bewundern. Das ist ein Mann Gottes, sagen sie. Der läßt sich nicht beirren. Den bringt nichts so leicht aus der Ruhe. Diese Ausdauer, diesen Glauben wünschte ich mir. So reden sie von Elia.
Und jetzt liegt er unter dem Dornstrauch. – Was ist geschehen? Wie kommt er hierher?
Vor kurzem stand er noch mitten unter den Propheten des Gottes Baal auf dem Berg Karmel im Norden des Landes. 450 Baalspriester gegen einen Mann. Auf ihren Altären rührte sich nichts. Als es Abend wurde, trat Elia an seinen Altar. Ein Feuer brannte, ein einziges, über den Altären der Baalspriester blieb es dunkel. Es war weithin sichtbar: das Feuer des lebendigen Gottes brannte da. Niemand konnte es übersehen. Jeder dachte: Jetzt wird es aus sein mit den falschen Priestern, mit den falschen Göttern! Jetzt schlägt Gott zu! Elia schlug zu und brachte alle 450 Baalspriester um. Damit hatte er gesiegt, der Gott Elias. Endgültig.
Doch Königin Isebel, die den Gott Baal verehrt hatte, ließ dem Elia ausrichten: „Die Götter sollen mich strafen, wenn ich dich morgen um diese Zeit nicht ebenso umbringen werde, wie du meine Propheten umgebracht hast!“ Elia wußte: diese Frau macht keine Scherze, er wußte, daß es nur einen Weg für ihn gab: die Flucht. Bis jetzt hatte er Glück gehabt. Doch langsam begann er, an seinem Glück zu zweifeln.
Er lief mit seinem Diener weit nach Süden, über die Landesgrenze. Am letzten bewohnten Ort ließ er auch seinen Diener zurück und lief alleine weiter, einen Tag weit in die Wüste.
In ihm war es plötzlich leer geworden. Wozu dies alles? Wozu die Worte, die er reden sollte? Er wurde irre an seinem Gott: Warum läßt du mich reden? Warum dieses Zeichen, wenn doch alles beim alten bleibt, wenn doch die, die Macht haben, mich am Ende doch zum Schweigen bringen können? In Elia war alles leer.
Und mit der Leere kam die Angst. Er sagte: Ich ertrage es nicht mehr. Ich bin nicht stärker als meine Vorfahren, und auch die ertrugen es nicht ewig. Such dir einen anderen, der für dich redet, Gott. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.
Elia hatte seinen Gott verloren. Ist es schwer, dies zu verstehen?
Kennst du nicht die Augenblicke, in denen du sagst: Ich habe es satt. Ich will weg. Und du kehrst dich nach innen, weg von deinem Leben, weg von den Menschen?
Kennst du nicht die Augenblicke, in denen du deine Hände betrachtest und siehst: sie sind leer. Du meintest, darin deinen Glauben zu finden, und sie sind leer.
Dann geht es dir wie dem Mann, der lange Zeit im Krankenhaus lag, und alles versucht hat, doch kein Medikament brachte die ersehnte Heilung. Du hörst ihn sagen: „Ich will nicht mehr. Ich schaffe es nicht.“
Dann geht es dir wie der Frau, die ihren Mann verloren hat und ihren Weg nun alleine gehen muß. Ihren traurigen, schweren Weg. Du hörst sie sagen: „Ich will nicht mehr. Ich schaffe es nicht.“
Dann geht es dir wie dem Menschen, vor dem sich ein Haufen Arbeit auftürmt, ein schier unüberwindlicher Berg. Ein Ende ist nicht in Sicht. Du hörst ihn sagen: „Ich will nicht mehr. Ich schaffe es nicht.“
Oder es geht dir wie dem Menschen, der längere Zeit arbeitslos ist. Immer wieder ist er zum Arbeitsamt gelaufen. Immer wieder hat er Bewerbungen geschrieben und jedesmal Absagen bekommen. Du hörst dich sagen: „Ich will nicht mehr. Ich schaffe es nicht. Es bringt ja doch nichts.“
Es geht dir wie Elia, der irre geworden ist an seinem Gott. Seine Hoffnung ist wie weggeblasen. Das Ziel ist nicht mehr zu sehen.
Elia liegt noch immer unter dem Strauch. Aber – da kommt noch einer. Er hält etwas in der Hand und geht zu dem Liegenden. Er stellt es vor ihn hin. Ich erkenne: einen Krug, wohl mit Wasser, und etwas Brot. Er versucht ihn zu wecken, doch er sieht, wie erschöpft Elia ist. So berührt er ihn ganz sanft an der Schulter. „Steh auf und iß!“, sagt er und geht.
Wie ein Kranker auf seinem Lager streckt Elia die Hand aus und trinkt einen Schuck Wasser, ißt einen Bissen Brot. Doch er ist noch nicht bereit. Er dreht sich herum und will weiterschlafen. Der andere faßt ihn wieder an der Schulter und erneut sagt er zu ihm: „Steh auf und iß! Du hast einen weiten Weg vor dir!“ Und Elia steht auf, ißt und trinkt und geht seinen Weg.
Der Krug und das Brot, die Hand auf der Schulter, die leise Berührung Gottes, die sagt: Ich möchte, daß du wieder aufstehst, ich habe noch etwas vor mit dir. Der Krug und das Brot: die Antwort Gottes in meiner Wüstenzeit?
Ich erinnere mich an die Augenblicke, in denen ich müde wurde und in denen mir der Glaube zwischen den Fingern zerrann. Entdeckte ich irgendwo den Krug? Oft stand er vor mir, lange bevor ich ihn wahrgenommen habe: ein Wort war es, oder eine Begegnung, ein Mensch, ein Freund, der mir nahe war, eine Hand auf meiner Schulter. Behutsam waren die Berührungen, die ich spürte. Langsam konnte ich mich wieder öffnen für das Leben um mich her und neuen Mut schöpfen.
Elia steht auf und geht seinen Weg. Er wird zurückkehren in sein Land. Und er wird wieder reden, von dem Gott, der ihn auf den Weg gebracht hat, zurück in das Leben, gerettet vom Tod. Er geht und kehrt anders zurück als er ging. Es wird wieder Wüsten geben in seinem Leben. Er wird wieder Durst leiden, doch er weiß: sein Gott geht mit. Er läßt ihn auch in den Wüsten seines Lebens, in der Dürre und Trockenheit nicht allein.
Und du … und ich: werden wir aus der Geschichte des Elia lernen? Werden wir uns, wenn wir müde werden, daran erinnern: Es gibt das Brot und den Krug mit Wasser auch für uns? Werden wir von beidem nehmen, wenn sie vor uns stehn?
Wir dürfen Vertrauen haben, daß der Krug und das Brot uns Kraft geben. Wenn wir nicht mehr wissen, wie wir einen vor uns liegenden Weg bewältigen können, oder wenn wir erschöpft sind von dem Weg, der hinter uns liegt, dann dürfen wir uns bei Gott ausweinen, wie bei Vater und Mutter, ihm einfach erzählen, wie schlecht es uns geht. Wir dürfen Gott sogar anklagen, mit ihm schimpfen. Er weiß genau, was wir brauchen und er gibt es uns, das ist sein Wille für uns.
Manchmal kommt die Kraft nicht sofort. Aber wir dürfen darauf vertrauen, daß sie kommt. Lassen wir Gott und uns selbst doch die nötige Zeit – uns die nötige Zeit zum Ausruhen, Gott die nötige Zeit um einen Boten zu schicken.
Liebe Gemeinde, wir wissen von Jesus, der auch den Weg durch die Wüste ging, wie Elia. Er selbst gibt uns das Brot und den Wein, er gibt sich selbst hin für uns. Und er sagt: „Ich gehe neben dir, in den Wüsten deines Lebens. Du wirst nicht ohne Wüstenzeiten leben, aber du darfst wissen, daß du nicht allein bist. Ich gebe dir den Krug mit dem Wasser des Lebens, das deinen Durst löscht und das Brot, das dich stärkt auf deinem Weg.“ Ein weiter und oft mühsamer Weg wird es sein, auch für Christen. Doch mit Gottes Hilfe, durch seine Kraft, kommen wir an. Amen.