Schau,wie der Baum gedeiht,der nah am Bach steht.Kraftvoll wächst er,und seine Zweige sind voll grüner Blätter.Sie welken auch unter sengender Sommerhitze nicht. Denn seine Wurzeln haben Wasser in Fülle,gutes Erdreich ist sein Nährboden.Früchte trägt er zu seiner Zeit und es freut sich an ihm, wer ihn sieht. Schau, so ist auch der Mensch, der in der Nähe Gottes lebt. Er findet Geborgenheit bei ihm, wenn er sein Wort hört und mit Verstand und Herz bedenkt, wenn er auf seine Zusagen vertraut und sich Weisung sein läßt, was andere mit Gott erfahren haben. Der Mensch hat festen Stand, und er wächst in seinem Innern Tag um Tag.
Liebe Gottesdienstgemeinde im Grünen,
Bäume sind wichtig für uns. Nicht nur, daß wir Nutzen von ihnen haben, daß wir das Holz brauchen: zum Bauen, zum Heizen, um Musikinstrumente herzustellen, daß sie Schatten und Erholung spenden. Bäume werden gepflanzt und gepflegt. Vielfach haben wir Früchte von Bäumen.
Bäume beeindrucken uns, besonders alte und mächtige Bäume. Sie stehen fest, wir Menschen dagegen bewegen uns. Sie sind anscheinend unverrückbar im Wandel der Zeiten. Sie lassen die Zeit an sich vorübergehen.
Wenn sie Augen hätten, was würden sie alles sehen im Lauf der Zeiten. Wenn sie reden könnten, wovon würden sie erzählen? Was könnte gerade manche dieser Bäume hier erzählen, die nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte alt sind? Würden sie uns berichten von all den Menschen, die sie schon hier auf der Weibertreu erlebt haben? Von den Herren von Weinsberg, die einmal hier gelebt haben? Von Justinus Kerner und dem Kreis der Schwäbischen Romantiker, deren Namen sich in den Steinquadern auf dieser Burg finden?
Stellen wir es uns einmal vor: Wie unterschiedlich bekleidet die Menschen waren, die hier vorbeigekommen sind! Sie könnten erzählen, daß sie ruhige Zeiten erlebt haben, fröhlichen Gesang gehört haben – aber auch Kriegslärm.
Wie unterschiedliche Menschen haben wohl schon unter diesen Bäumen gesessen: spielende und singende Kinder; vielleicht Liebespaare, die darunter gesessen oder auch ein Herz in die Rinde eingeritzt haben;
Menschen in der Mitte des Lebens, ausruhend von der Arbeit, haben vielleicht dort gefrühstückt, sich von der Arbeit erzählt, von den Mühen des Lebens;
alte Menschen, die auf einem Stock gestützt hierhergekommen sind, vielleicht geseufzt haben beim Hinsetzen, um sich im Schatten auszuruhen.
Viel könnte so ein Baum erzählen: Die Zeiten ändern sich, und wandern an ihm vorbei. Alles verändert sich – und er, der Baum bleibt stehen: Ein Bild der Ruhe. Wir Menschen leben so unruhig und ein Baum ist in seiner Ruhe so beeindruckend.
Dieses Bild, nimmt unser Psalm 1, den wir vorhin gemeinsam gesprochen haben, auf:
„Schau wie der Baum gedeiht, der nah am Bach steht. Kraftvoll wächst er, und seine Zweige sind voll grüner Blätter. Sie welken auch unter sengender Sommerhitze nicht. Denn seine Wurzeln haben Wasser in Fülle, gutes Erdreich ist sein Nährboden. Früchte trägt er zu seiner Zeit, und es freut sich an ihm, wer ihn sieht.“
Von einem großen, kraftvollen Baum ist da offensichtlich die Rede. Von einem Baum, dessen Kraft auch gebraucht wird. Im Sommer, wenn er viele Blätter und dann auch Früchte trägt. Dieser Baum ist ein Bild für den Menschen.
Ich weiß nicht, ob wir uns und unser Leben so einfach mit diesem Baum vergleichen können: Im Sommer des Lebens steht er da, voller Kraft, vieles zehrt an ihm, Menschen essen von seinen Früchten.
Vielleicht können wir uns eher mit einem Baum vergleichen, von dem ein paar Äste abgebrochen sind – in einem Sturm, oder auch nur vom Zahn der Zeit abgenagt. Vielleicht ist sogar die Spitze abgebrochen und woanders sind neue Äste ausgetrieben. Vielleicht ist er auch nicht sonderlich gerade gewachsen, und er mußte sich einem stetigen Wind beugen, ihm nachgeben, um nicht zu zerbrechen. Vielleicht steht unser Lebensbaum auch eng mit einem anderen zusammen, so daß nicht alle möglichen Äste austreiben konnten. All das könnten Bilder für unser Leben sein.
Vielleicht sind wir auch nicht eine weit ausladende Buche oder Eiche, sondern eine lustige, schnell wachsende Birke; vielleicht ein fruchtbarer Obstbaum, der zwar nicht so mächtig aussieht, aber regelmäßig Früchte trägt; vielleicht auch ein immergrüner Nadelbaum, der auch dann Grün trägt, wenn die anderen Ruhepause haben; vielleicht eine Linde, mitten auf dem Dorfplatz, um die sich andere gerne versammeln. All das können Bilder für unser Leben sein.
Aber gleich, welches Bild gerade zu uns paßt, auf eins kommt es bei allen an: Alle Bäume brauchen Wurzeln, die den Baum mit Lebenssaft versorgen, ihm Halt geben, nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter. Die Wurzeln sind wichtig, da aus ihnen der Baum seine Kraft bezieht. Wenn ein Baum in der Nähe eines Baches wurzelt, wie es im Psalm gesagt wird, dann gedeiht der Baum. Im guten Erdreich muß der Baum wurzeln. Man darf beim Baum nicht nur nach oben sehen, sondern auch dorthin, worin es seine Wurzeln hat.
Im Psalm 1 heißt es weiter:
„Schau, so wie ein Baum am Bach gepflanzt, so ist auch der Mensch, der in der Nähe Gottes lebt. Er findet Geborgenheit bei ihm, wenn er sein Wort hört und mit Verstand und mit Herz bedenkt, wenn er auf seine Zusagen vertraut, und sich Weisung sein läßt, was andere Menschen mit Gott erfahren haben. Der Mensch hat festen Stand, und er wächst in seinem Innern Tag um Tag.“
Wer in der Nähe Gottes, oder im Wort Gottes seine Wurzeln hat – der gleicht einem solchen Baum! Welches Wort Gottes könnte gemeint sein? Sicher auch das, an das wir uns am Himmelfahrtstag erinnern, an das Wort, das Jesus seinen Jüngern zum Abschied gesagt hat. „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“
Wer mit dieser Gewißheit lebt, der hat gute Kraft. Wer in der Gewißheit der Nähe Gottes lebt, der hat Kraft, durch die Zeit hindurchzugehen, mit allem was dazugehört.
Es kann so sein wie bei einem Baum: Die Wurzeln sieht man nicht. Man sieht auch nicht, wie ständig im Innern des Baumes die Feuchtigkeit dem Baum den Halt, die Festigkeit und Biegsamkeit gibt, die Blätter und die Früchte nährt.
So kann es bei uns Menschen auch sein: Vielleicht ist gar nicht so viel zu sehen an uns. Vielleicht sind wir nicht gerade schöne und fruchtbare Bäume. Wer aber die Gegenwart Gottes in seinem Innern trägt, der bekommt aus ihr die Festigkeit, aber auch die Geschmeidigkeit, dem, was auf einen einstürmt, zu trotzen und standzuhalten.
Der Psalm 1 meint dies: Wer aus der Gewißheit der Gegenwart Gottes ständig seine Kraft bezieht, der ist einem solchen Baum ähnlich.
Und: Wer aus den Erfahrungen, die andere mit Gott gemacht haben, lernt, der bezieht auch daraus Kraft. Wichtig ist, zu sehen, daß der Glaube nicht aus sich allein lebt. Wir müssen uns immer wieder unsere Erfahrungen gegenseitig berichten – und nicht nur die guten. Vielleicht so wie die Bäume in ein leichtes gemeinsames Rauschen einstimmen bei einem leichten, erfrischenden Wind, aber auch miteinander ächzen, wenn ein Sturm kommt.
Schließlich ist es auch wichtig, sich auszubreiten wie ein Baum. Ein Baum gestaltet die Kraft, die er bekommt. Er zeigt sie und bildet Blätter und trägt Früchte. Das, was in den Wurzeln aufsteigt, kann man erst dann sehen, wenn es Gestalt annimmt: einen Stamm bildet, große und kleine Äste, Blätter und Früchte.
Vielleicht ist es wichtig, auch darüber nachzudenken: Wie gestalte ich die Kraft, die ich bekomme? Wohin strecke ich meine Äste, und welche Früchte trage ich? Ich könnte da an die Familie denken; oder an die Arbeit. Aber auch an Tätigkeiten, die einfach nur Spaß machen, die ich gerne mit anderen gemeinsam tue.
Ich glaube, darauf kommt es an: Daß wir unsere Wurzeln immer wieder danach ausstrecken, nach dem Wort Gottes, die Kraft, die wir bekommen, dann auch gestalten, hörend, redend, singend und feiernd. So bekommen wir auch einen festen Stamm, auf dem wir gut stehen können. So können wir auch Blätter und Früchte tragen, anderen Schatten spenden und nähren.
Mich erinnert das auch an ein Wort des Apostels Paulus: „Wie ihr nun den Herrn Jesus Christus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben.“
Ich wünsche Ihnen und mir, daß wir gute Bäume sind und werden, die mit ihren Wurzeln fest stehen im guten Garten unseres Gottes. Amen.